FluchtursachenWarum ein Fischer aus dem Senegal nach Europa will
Das Meer vor der Küste Senegals ist leergefischt, – den Fischern fehlt die Lebensgrundlage. Deshalb begibt sich Fischer Saliou auf eine Reise, die für viele tödlich endet. Nach zwei gescheiterten Versuchen, macht er sich erneut auf den gefährlichen Weg über den Atlantik.
Ein Strand am Rande der Stadt Mbour, etwa eineinhalb Autostunden südlich der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Entlang der Küste reihen sich über 100 kleine Holzboote, sogenannte Pirogen, verziert mit traditionellen bunten Malereien. Auf den ersten Blick nicht ungewöhnlich, doch an einem sonnigen Vormittag sollten die Boote eigentlich draußen auf dem Meer sein. Aber viele der Fischer aus Mbour sind jetzt in Spanien, kaum jemand ist mehr hier, um mit den Boote aufs Meer zu fahren, um zu fischen.
Am Strand schippt auch Saliou Seye mit einem Plastikkanister Wasser aus seiner Piroge. Er ist Fischer, wie fast alle hier. Mitte 30, breite Schultern, ernster Blick. Auch er träumt von einer Zukunft in Spanien.
"Dein Leben verändert sich komplett in Spanien. Hier im Senegal wird es immer schwieriger. Deshalb möchte ich auch dorthin zu meinen Kollegen. Die haben dort ein besseres Leben als wir hier."
Das war nicht immer so. Vor einigen Jahren gab es noch reichlich Fisch vor der Küste Senegals. Doch dann kamen ausländische industrielle Schiffe, die das Meer leerräumen. Für die lokalen Fischer wie Saliou, bleibt kaum etwas übrig. Zu wenig, um den Lebensunterhalt zu stemmen. Seine vier Brüder sind schon in Spanien, nun ist er alleine für 17 Familienmitglieder verantwortlich. Sie wohnen in einem einfachen Betonbau direkt am Meer, mit dünnen Schaumstoffmatratzen am Boden, ohne Bettdecken, Möbel oder Fensterscheiben.
"Ich muss mich um alle alleine kümmern, dabei finde ich im Meer keine Fische mehr. Deshalb suche ich nach anderen Möglichkeiten, meine Familie zu versorgen. Auch wenn ich dafür illegale Sachen machen muss."
Schon zweimal hat er versucht, nach Spanien zu kommen. Zuerst mit einem Visum, doch das hat nicht geklappt. So blieb Saliou keine andere Option als die Route über das gefährliche Meer. Das erste Mal, vor zwei Jahren, wäre er dabei fast ertrunken. Tagelang seien er und die anderen Männer auf dem Meer herumgetrieben.
"Wir kamen nicht mehr vorwärts, es war viel zu windig und die Wellen so hoch. Überall kam Wasser ins Boot. Es war kalt, wir hatten nichts mehr zu essen. Alle haben geweint und geschrien, weil sie dachten, dass sie sterben."
Sie konnten gerade noch rechtzeitig umkehren. Beim zweiten Versuch übers Meer wurden die Männer direkt in Mbour von der Polizei gestoppt.
Trotz allem plant Saliou seinen nächsten Versuch. Denn Hoffnung auf ein besseres Leben im Senegal hat er keine. Die Arbeitslosigkeit ist hoch — und Spanien für viele das Eldorado. Er sucht ein größeres Boot mit einem oder zwei Motoren - und Gleichgesinnte, die mit ihm den Atlantik überqueren. Als Kapitän reist er umsonst, die anderen zahlen zwischen 300 und 800 Euro.
Barcelona oder stirb
Es gibt einen Slogan unter den Fischern hier: "Barca wall Barsax" - das ist Wolof, also die Hauptsprache im Senegal und heißt: "Barcelona oder stirb". Die Männer kennen die Gefahr, es gibt ganze Straßen, in denen direkt mehrere Familien einen Sohn oder Ehemann verloren haben. Doch für viele ist es ehrenwerter, im Meer zu sterben, als es gar nicht erst zu versuchen.
In einer dieser Straßen lebt auch Amineta Boye. Vor zwei Jahren ist ihr Sohn Waly auf dem Weg nach Spanien ertrunken. Er war 19 Jahre alt.
"Ich und sein Vater haben ihm mehrfach gesagt, dass er nicht gehen soll. Sogar als er schon auf dem Boot war, habe ich ihn angerufen und angefleht, nicht zu gehen."
Über zwei Wochen hört sie nichts von ihrem Sohn. Dann die Nachricht: Waly und 25 andere junge Männer aus der Nachbarschaft sind im Meer gestorben. Immer wieder fängt Amineta an zu weinen. Es gebe keinen Moment, in dem sie nicht an ihn denke. Sogar jetzt gerade sehe sie ihn ganz genau vor ihren Augen, erzählt sie. Der Schmerz, den sie fühle, sei unbeschreiblich. "Es ist wirklich schwer." Heute warnt sie andere Familien vor den Gefahren des Meeres.
Die Reise nach Europa als einzige Option
Dennoch hofft Saliou, in den nächsten zwei Monaten einen erneuten Versuch starten zu können. Seiner Frau und seinen sechs Kindern hat er davon nichts erzählt. Sie wollen, dass er bleibt. Aber Saliou sieht in der Reise nach Europa die einzige Option.
"Ich träume von einer besseren Zukunft für meine Familie hier im Senegal. Ich will nicht weg. Wenn ich bleiben und meine Familie hier versorgen könnte, würde ich nicht gehen."
Bald, mitten in der Nacht, wird er sich aus dem Haus schleichen. Und erneut versuchen, mit seinem Holzboot den Atlantik zu überqueren.
Hinweis: Unser Bild zeigt Fischer mit ihrem Boot an der Küste von Dakar