US-Korrespondent zu Sturm aufs Kapitol"Wir erleben die Implosion des gesamten politischen Systems Donald Trump"
In den USA haben Trump-Unterstützer das Kapitol gestürmt. Bei den Protesten gab es vier Tote. Der Kongress hatte seine Sitzung lange Zeit gestoppt – inzwischen hat sich die Lage aber wieder beruhigt und Joe Bidens Wahlsieg wurde bestätigt.
Die bisherige Bilanz des Sturms auf das Kapitol in Washington: vier Tote, mindestens 50 Festnahmen, stundenlanges Chaos am Sitz des US-Parlaments. Aber: Die Sitzung wurde nur unterbrochen, der Kongress nahm seine Arbeit wieder auf und besiegelte Trumps Wahlniederlage demonstrativ.
"Zumindest im Senat kehrten auch Republikaner Präsident Trump den Rücken, die bisher aus politischem Kalkül an seiner Seite blieben."
Das war passiert: Seit Monaten hat US-Präsident Donald Trump seine Anhängerinnen und Anhänger angefeuert, gegen seine Wahlniederlage vorzugehen. Jetzt haben einige von ihnen das in die Tat umgesetzt: Nach einem Auftritt von Trump strömten Menschen zum Kapitol in der Nähe und stürmten den Kongress.
Chaotische Szenen aus Washington
Bilder unter anderem bei CNN zeigten, wie die Randalierenden Barrikaden überwanden, Fenster einschmissen, ins Kapitol eindrangen, Sicherheitskräfte bedrängten und sogar Sitzungsräume und Büros besetzten. "Es waren chaotische Szenen", sagt unser USA-Korrespondent Thilo Kößler.
Bei den Unruhen am US-Kapitol sind offenbar auch vier Menschen ums Leben gekommen: Eine Frau wurde von der Polizei angeschossen und erlag später ihren Verletzungen, teilten die Behörden mit. Drei weitere Personen seien durch medizinische Notfälle gestorben.
Nach Medienberichten seien auf dem Kapitol-Gelände Sprengkörper gefunden worden. Auch vor der Parteizentrale der Republikaner sei eine Rohrbombe entdeckt worden, bei der Zentrale der Demokraten gab es ein verdächtiges Paket.
"Die Polizei hat in einem bemerkenswert moderaten Polizeieinsatz die Demonstranten zurückgetrieben."
Kurz nach Mitternacht war die Situation geklärt: Sicherheitskräfte meldeten, dass das Areal innen und außen wieder sicher sei. "Die Polizei hat in einem bemerkenswert moderaten Polizeieinsatz die Demonstranten zurückgetrieben", berichtet Thilo Kößler. Auf den Straßen sei es ruhig. Washingtons Bürgermeisterin Muriel Bowser hatte eine Ausgangssperre verhängt.
Republikaner wenden sich von Trump ab
Der Widerstand der Republikaner gegen Biden sei in sich zusammengebrochen, sagt Thilo Kößler: "Was die Republikaner veranstaltet haben, war ein Schuss in den Ofen." Es gebe überhaupt keinen Zweifel daran, dass der nächste Präsident Joe Biden heißen wird.
Trumps Vize-Präsident Mike Pence verurteilte die Gewalt. Auch andere Republikaner schlossen sich an. Die Szenen der Gewalt stellten keinen Akt des Patriotismus dar, sondern eine Attacke auf das Land und dessen Gründungsideale. "Was heute passiert ist, war inländischer Terrorismus", so Michael Ahrens, Kommunikationsdirektor vom republikanischen Nationalkomitee. Mehrere republikanische Senatoren wollen sich nicht länger gegen den Wahlsieg Bidens stemmen.
"Was heute passiert ist, war inländischer Terrorismus."
Der enge Trump-Vertraute Lindsey Graham, republikanischer Senator, erklärte: Joe Biden sei der rechtmäßige Präsident der USA.
Soziale Medien stellen sich gegen Trump
Auch die Sozialen Medien reagieren: Facebook löscht Fotos und Videos von Anhängern Trumps aus dem von ihnen erstürmten Kapitol in Washington von der Plattform. Auch löschten Facebook und YouTube einen Videoaufruf von Präsident Trump. "Es handelt sich um einen Notfall, und wir ergreifen angemessene Notfallmaßnahmen", sagte Facebook-Vizechef Guy Rosen. Mit der Videobotschaft verstärke Trump das Risiko der andauernden Gewalt.
"In der kurzen Geschichte der Social-Media-Plattformen ist das schon einmalig, was da in der vergangenen Nacht passiert ist."
Das ist durchaus ein ungewöhnlicher Vorgang, sagt Deutschlandfunk-Nova-Reporter Andreas Noll: "In der kurzen Geschichte der Social-Media-Plattformen ist das schon einmalig, was da in der vergangenen Nacht passiert ist." Allerdings hätten die Plattformen dem Treiben des US-Präsidenten sehr lange zugesehen. "Twitter war dann im vergangenen Jahr mit Warnhinweisen und Restriktionen schneller als die Facebook-Konkurrenz, aber auch Twitter hat sich lange zurückgehalten."
"Allgemein gibt es großes Entsetzen bei den Parteien in Deutschland."
Deutsche Politikerinnen und Politiker reagieren seit dem Abend auf den Sturm des Kapitols. Außenminister Heiko Maas hat zum Beispiel Donald Trump kritisiert: "Aus aufrührerischen Worten werden gewaltsame Taten - auf den Stufen des Reichstages, und jetzt im Capitol", hat der getwittert, während in Washington noch Trump-Anhängende im Kapitol ihr Unwesen trieben.
Merkel und Steinmeier kritisieren Trump
"Allgemein gibt es großes Entsetzen bei den Parteien in Deutschland", sagt Johannes Kuhn aus dem Hauptstadtstudio Deutschlandfunk. Für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war die Besetzung des Kongresses ein "Sturm auf das Herz der Demokratie". Er machte Trump direkt verantwortlich, als amtierender Präsident einen bewaffneten Mob aufgestachelt zu haben.
"Die deutschen Politiker in Verantwortung sehen in dem, was in Washington passiert ist, eine historische Zäsur."
Auch Bundeskanzlerin Merkel äußerte sich: Es sei eine Grundlage der Demokratie, dass es nach einer Wahl Gewinner und Verlierer gebe. "Ich bedauere sehr, dass Präsident Trump seine Niederlage seit November nicht eingestanden hat."
Klaus Remme vom Hauptstadtstudio Deutschlandfunk ist zuversichtlich, dass sich mit dem vollzogenen Machtwechsel am 20. Januar 2021 die Zusammenarbeit zwischen den USA und Deutschland wieder verbessern wird.
Aus dem Auswärtigen Amt gibt es einen Reisehinweis: Auch in anderen Städten in den USA muss man mit Demonstrationen und auch mit bewaffneten Menschen rechnen.
"Was wir hier erleben, ist die Implosion des gesamten politischen Systems Donald Trump."
Im US-Kapitol und in Washington ist wieder Ruhe eingekehrt. Die politischen Nachwehen dürften aber massiv sein, sagt unser Korrespondent Thilo Kößler: "Was wir hier erleben, ist die Implosion des gesamten politischen Systems Donald Trump."