Kritik an Urteilen bei Trennungstötungen"Gewalt gegen Frauen kommt in allen gesellschaftlichen Schichten vor"
Die meisten Opfer tödlicher Gewalt in Partnerschaften sind Frauen. Zu häufig werden die Täter wegen Totschlags und nicht wegen Mordes verurteilt, sagt die Juristin Leonie Steinl und verweist auf ein konkretes Urteil.
Im Jahr 2018 sind in Deutschland 122 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet worden. Zum Vergleich: 26 Männer starben in Folge vergleichbarer Taten. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat die Partnerschaftsgewalt kriminalstatistisch ausgewertet und das Ergebnis am internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen vorgestellt.
In insgesamt gut 81 Prozent der Fälle waren Frauen Opfer von Gewalttaten in Partnerschaften. Die Zunahme der statistisch erfassten Gewaltdelikte in Partnerschaften lasse eine zunehmende Bedeutung des Phänomens in den letzten Jahren annehmen. Besonders stark sind Menschen zwischen 30 und 39 Jahren betroffen.
Opfer als Eigentum
Vor Gericht werden Trennungstötungen häufig als Totschlag bewertet und nicht als Mord, ein Umstand, den Leonie Steinl kritisiert. Sie ist Vorsitzende der Strafrechtkommission des Juristinnenbunds und promovierte Juristin. Das beschriebene Missverhältnis führt sie unter anderem auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs von 2008 zurück. Darin wurde entschieden, dass niedrige Beweggründe – sie sind das juristische Kennzeichen für Mord – dann in Zweifel stehen, wenn die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er nicht verlieren will.
"Diese Entscheidung spiegelt patriarchale Gedankenmuster wieder. Es ist eine patriarchiale Besitzkonstruktion."
Das Opfer gilt dem Urteil zufolge vor der Tat als Eigentum des Täters, eine Vorstellung, die Leonie Steinl als patriarchale Besitzkonstruktion bezeichnet. Sie hat den Eindruck, dass das Ausmaß häuslicher Gewalt nicht im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert ist. Die sogenannten Ehrenmorde wären hingegen überdurchschnittlich präsent. Die Juristin weist darauf hin, dass in diesen Fällen niedrige Beweggründe eher angenommen und Täter häufiger wegen Mordes verurteilt werden.
"Wir fordern keinen eigenen Straftatbestand Femizid, aber im Zweifelsfall eine gesetzgeberische Intervention. Das Gesetz muss gewährleisten, dass Trennungstötungen nicht milder bestraft werden, wenn es sich um Straftaten in einer Partnerschaft handelt."
Aus ihrer Sicht braucht es nicht unbedingt den Straftatbestand Femizid, also Tötung wegen Hass auf Frauen. Sie ist allerdings der Ansicht, dass Taten innerhalb der Partnerschaft nicht geringer bestraft werden sollten, als solche außerhalb.
In einem zweiten Gespräch hat Gudula Geuther allgemeiner die statistische Auswertung des Bundeskriminalamts zur Partnerschaftsgewalt erklärt. Sie ist unsere Korrespondentin für Berlin und betont, dass die Zahlen nur das Hellfeld zeigen. Nur Delikte, die auch angezeigt wurden, sind hier erfasst – mit seit 2014 steigender Tendenz.
"In jedem Jahr seit 2014 sind die Zahlen gestiegen. Das kann am Anzeigeverhalten liegen. Klar ist: Die Dunkelziffer ist immer noch sehr hoch."
Gegen diesen Zustand haben am 25.11.2019 Frauen und Mädchen gegen Gewalt an Frauen protestiert – auch in Köln. Unser Reporter Stephan Beuting hat sich dort umgehört, mit einem Gewaltopfer und auch mit der Mitarbeiterin eines Frauenhauses in der Stadt gesprochen.
Diese beklagt vor allem, dass sie Gewaltopfer regelmäßig zurückweisen muss – aus Mangel an Platz in ihrer Einrichtung. Die Frauen blieben dann zu Hause, wo sie in der Regel weiterhin gefährdet sind. Die Demonstrierenden fordern deswegen unter anderem die Umsetzung der Istanbulkonvention des Europarates. Diese sieht in Artikel 23 Absatz 135 vor, dass eine Familie je 10.000 Einwohner in Frauenhäusern unterkommen können soll.
"Die Istanbulkonvention muss umgesetzt werden, das höre ich hier häufig. Das Opferentschädigungsgesetz wird reformiert. Darüber sind viele hier glücklich – allerdings gehen manche Dinge nicht weit genug."