Leben in der VorstadtFranzösische Jugend
Marine Le Pen oder Emmanuelle Macron? Wenn am Sonntag (07.05.) entschieden wird, wer Frankreich regieren wird, dann kommt es auf jede Stimme an. Viele Menschen gehen aber gar nicht wählen. Vor allem unter den 18- bis 35-Jährigen in den Vorstädten, den Banlieues, ist die Zahl der Nichtwähler hoch.
Sébastien Deslandes und Hervé Lequeux haben für ihr Projekt "Une jeunesse française" ("Eine französische Jugend") Menschen zwischen 15 und 30 Jahren getroffen und über mehrere Jahre hinweg begleitet. Sie haben dabei viel über das Leben in den Vorstädten erfahren, und einen Satz haben sie besonders oft gehört: "Es passiert einfach nichts. Für uns ändert sich gar nichts."
Das sei auch der Grund, warum so viele Menschen in den Banlieues enttäuscht sind und gar nicht erst wählen. Ein großer Teil der Jugendlichen dort hat Eltern, die arbeitslos sind, Sozialhilfe bekommen oder in sehr ärmlichen Verhältnissen leben.
"Der Kühlschrank ist leer, die Eltern sind häufig arbeitslos und bekommen Sozialhilfe - und das sind die Rahmenbedingungen, in denen die aufwachsen.“
Die Probleme in den Vorstädten sind vielfältig. Und bei der Anzahl von Menschen (rund sieben Prozent der französischen Bevölkerung leben in Banlieues) kann man nicht alle Jugendlichen über einen Kamm scheren. Aber es gibt Faktoren, die dazu beitragen, dass die Jüngeren an diesen Orten besonders abgehängt sind.
Die Sprache ist eine Barriere
Sie sind einerseits räumlich abgehängt - einfach weil die Vorstädte zum Teil weit vom Zentrum entfernt liegen. Außerdem ist auch die Sprache eine Barriere. Denn jede Vorstadt hat ihre eigene Kommunikation, einen eigenen Slang. Den brauchen die jungen Menschen, um in ihrem Viertel klar zu kommen. Wer aber nur diesen Slang spricht, hat im restlichen Frankreich verloren.
Der Slang der Banlieus
Einer der Jugendlichen, den der Journalist und der Fotograf begleitet haben, ist Saber. Er lebt 40 Kilometer entfernt von Paris in Les Mureaux. Zu Beginn der Studie war er 23 Jahre alt. Sabers Eltern stammen aus Tunesien, aber der Vater lebt nicht mehr bei der Familie. Und die Mutter hat Probleme, einen Job zu finden.
Saber unterscheidet sich von den anderen Banlieu-Bewohnern, weil er "zweisprachig" ist - so nennt es der Journalist Sébastien Deslandes. Damit meint er, dass Saber sowohl den Dialekt der Straße drauf hat als auch korrektes Schulfranzösisch.
"Und das, was ihn einzigartig unter den anderen gemacht hat, ist, dass er eben beide Sprachen spricht. Er kann raus, in andere Viertel, andere Städte fahren."
Sébastien hat bei Saber auch ein außerordentliches Improvisationstalent festgestellt. Eine Eigenschaft, ohne die viele Jugendliche in den Vierteln nicht überleben könnten: "Die sind mit einem Pragmatismus ausgestattet, das ist faszinierend. So ein Viertel ist oft ein Königreich der Improvisationskunst." Eben weil die soziale Situation oft so schlecht ist, lernen die Leute hier von klein auf, sich durchzuschlagen, irgendwelche Jobs zu machen.
Als Saber Anfang Zwanzig war, hat er sich gerade ein eigenes Business aufgebaut: Er ist nachts mit seinem Auto nach Paris gefahren, in die Viertel, in denen das Nachleben pulsiert. Und während Gleichaltrige in den Klubs tanzen und trinken, hat er draußen vor der Tür auf die Heimkehrer gewartet, mit Sandwiches und Getränken, weil in Paris um diese Uhrzeit kaum noch ein Imbiss geöffnet hat.
"Die jungen Menschen erwarten nichts mehr von irgendwem. Und für die ist klar, wenn sie für irgendwas eine Lösung brauchen, dann müssen sie diese Lösung selber finden."
Banlieue ist Heimat
Obwohl für uns der Begriff "Banlieue" ziemlich negativ besetzt ist, weil wir an all die Probleme und an die Trostlosigkeit denken, die dort herrscht, dürfen wir natürlich nicht vergessen, dass für die Menschen dort auch Orte wie Les Mureaux oder Clichy-Sous-Bois Heimat sind. Saber zum Beispiel war schon viel in Frankreich unterwegs, aber irgendwann kommt er immer wieder in sein Viertel zurück.