Umgekehrter BraindrainWie aus Polen ein Ein- und Auswanderungsland wurde
Das Auswandern nach Großbritannien, in die EU oder in die USA war für viele Polen jahrzehntelang ein Versprechen für ein besseres Leben. Da das Land Arbeitskräfte braucht, kehren inzwischen Polen und Polinnen zurück in ihre Heimat.
Für Journalist David Zajonz kommt eine Rückkehr in das Land seiner Eltern nicht infrage. Vor mehr als 34 Jahren wanderten sie aus und zogen in die Pfalz. Er kann sich nicht vorstellen, dass jemand aus seiner Familie die Wahlheimat verlässt.
"Meine Eltern wohnen weiterhin in der Pfalz und ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass sie irgendwann nach Polen zurückziehen."
David Zajonz hat zu Rückkehrer*innen in die polnische Heimat recherchiert und festgestellt, dass es bei vielen Polinnen und Polen anders ist als in seiner Familie. Die Gründe für eine Rückkehr sind unterschiedlich – "so unterschiedlich wie die Menschen unterschiedlich sind", erklärt er.
Manchmal sind es emotionale Aspekte, wie starke Heimatverbundenheit oder die Nähe zur Familie. So war es bei Ewlina. Nach gut 24 Jahren kehrte sie mit ihrer 12-jährigen Tochter zurück in ihre osteuropäische Heimat. Diesen Schritt bereut sie nicht, sagt sie.
"Bis jetzt habe ich es nicht einen Tag bereut, dass ich hier rübergekommen bin. Ich fühle mich wohl, meine Tochter auch. Sie hat sich in der Schule eingelebt, ist zweisprachig aufgewachsen, von daher war das ja auch kein Problem."
Ein Vorteil ist für sie die Nähe zu ihrer Familie, die sie auch unterstützt. Da sie alleinerziehend ist, sei das familiäre Umfeld besonders wichtig. Der finanzielle Aspekt rücke für Pol*innen bei der Wahl des Wohnorts häufig in den Hintergrund, weil sie oft die Branche wechseln, erklärt der Reporter.
Bei Ewelina war es jedenfalls so. In Deutschland arbeitete sie in einer Reha-Klinik. In Polen ist sie in einer ganz anderen Branche gelandet, in der sie von ihren deutschen Sprachkenntnissen profitiert.
"In Polen arbeitet Ewelina im Kundenservice für deutsche Handynutzer aus dem Homeoffice. Da helfen ihr die Sprachkenntnisse."
Ihr Einkommen sei ähnlich hoch wie in Deutschland – allerdings hat sie deutlich geringere Lebensunterhaltskosten in Polen. Beispielsweise seien die Lebensmittelkosten und die Autoversicherungstarife in Polen niedriger als in Deutschland, deswegen "komme ich hier besser klar als in Deutschland", sagt Ewelina. Die familiäre Absicherung kommt Ewelina finanziell zusätzlich zugute, da sie – anders als in Deutschland – keine Miete zahlen muss. Sie kann in der Wohnung ihrer Großmutter leben.
Von einer hundertprozentigen Abkehr vom Auswanderungsland möchte das polnische Statistikamt nicht sprechen. Es heißt, dass Polen vom Auswanderungs- zum Aus- und Einwanderungsland geworden ist. "Das ist Teil eines großen Trends", sagt Reporter David Zajonz, "schon seit sieben Jahren hat Polen mehr Zuwanderung als Abwanderung. Die Geburtenrate ist in Polen niedrig – noch niedriger als in Deutschland. Gleichzeitig entwickelt sich die Wirtschaft gut."
Polen hat eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten in der Europäischen Union. Das Land braucht viele Arbeitskräfte. Die kommen seit jeher unter anderem aus der Ukraine und Belarus – und seit einigen Jahren auch verstärkt durch Rückkehrer. Im vergangenen Jahr waren 62 Prozent der Einwanderer, die ihren festen Wohnsitz nach Polen verlegten, Rückkehrer.
"Laut Statistik machten die Rückkehrer im vergangenen Jahr 62 Prozent der Einwanderer aus, die ihren festen Wohnsitz nach Polen verlegten."
Allerdings haben die meisten Arbeitsmigranten, die nach Polen gehen, keinen festen Wohnsitz. Statistisch gelten sie als temporäre Zuwanderer. Das heißt: Der Anteil der Rückkehrer an der Zuwanderung ist statistisch niedriger als 62 Prozent.