ÜberfordertWie wir uns leichter entscheiden können
Im Alltag müssen wir ständig Entscheidungen treffen. Marina ist neurodivergent und tut sich mit Entscheidungen schwer. Sarah Momoh ist Entscheidungscoach. Sie unterstützt Menschen dabei, mehr Klarheit zu bekommen und weniger Angst beim Entscheiden zu empfinden.
Die Wandfarbe – smaragdgrün oder taubenblau? Der Rock – kurz oder lang? Das Dessert – Crème brulée oder Tiramisu? Nach der Schule – Ausbildung oder Studium?
Es gibt Entscheidungen, die eigentlich nicht wichtig sind: Was ich als Nachtisch esse, hat in der Regel keine nachhaltigen Auswirkungen auf den Rest meines Lebens. Im Moment des Essens empfinde ich bestenfalls Genuss und Freude, wenn das Dessert gut zubereitet ist. Andere Dinge, die ich in meinem Leben beschließe, können ihm eine bestimmte Richtung geben und es maßgeblich verändern: welchen Berufsweg ich einschlage, ob und wann ich Kinder möchte, welchen Partner ich wähle.
Für Marina macht es kaum einen Unterschied, welche Art von Entscheidung sie trifft, in der Regel fällt es ihr immer schwer und es ist meist ein langwieriger Prozess, eine von verschiedenen Optionen zu wählen.
Vor rund einem Jahr wurde Marina als neurodivergent diagnostiziert. Die Diagnose lautete Autismus und ADHS. Sie sagt, dass sie sehr dankbar dafür ist, dass es inzwischen Möglichkeiten gibt, so etwas zu testen und feststellen zu können. Für Marina erklärte die Diagnose auch rückblickend vieles, womit sie in der Kindheit und in ihrer Jugend zu kämpfen hatte, sagt sie.
"Man muss sich ganz klipp und klar sagen: Es ist ok, wenn jemand anders entscheidet."
Marina möchte immer die beste Alternative wählen – und wägt daher lange ab. Das Beste oder nichts, ist ein Motto, dem sie gerne folgt. Dabei ist die Frage, ob die Tagliatelle mit Pfifferlingen besser sind oder das Thai-Curry, was beides im Restaurant auf der Karte steht, nicht wirklich eine Abwägung, die man mit objektiven Kriterien entscheiden kann. Deswegen braucht sie beim Essengehen oft lange, bis sie sich entschieden hat.
Analysis paralysis: Viele Informationen erleichtern die Entscheidung nicht unbedingt
Marina möchte auch möglichst viele Informationen, um die für sie bestmögliche Entscheidung zu treffen. Bevor sie in ein Restaurant geht, liest sie Rezensionen, um sicherzugehen, dass die Qualität des Essens gut ist. Sie studiert am liebsten schon zu Hause die Speisekarte, damit Freunde und Familie nicht lange bei der Bestellung auf sie warten müssen.
Ganz einfach ist es für Marina, wenn sie in ein Restaurant geht, das sie gut kennt und wo es möglicherweise ein Gericht auf der Karte gibt, dass sie besonders gerne mag. Dann muss sie gar überlegen und trifft ihre Entscheidung sofort.
"Mir hilft auch ein Satz, den ich mir immer wieder sagen muss: Diese Entscheidung muss nicht final sein."
Inzwischen hat Marina einige Strategien entwickelt, dir es ihr leichter machen, Entscheidungen zu fällen:
- Sie recherchiert ausgiebig, damit sie möglichst viele Informationen hat, die ihr helfen ihre Auswahl einzugrenzen
- Sie verschafft sich eine detaillierte Übersicht, zum Beispiel mit Spreadsheets
- Sie nimmt sich die Zeit: Marina bestellt fast ausschließlich online, damit sie genug Zeit hat, um zu entscheiden, ob sie die Sachen behalten möchte
- Sie grenzt die Auswahl ein und lässt dann andere eine finale Entscheidung treffen
- Sie sagt sich selbst immer wieder, dass eine Entscheidung nicht final sein muss und sich auch nachdem sie getroffen wurde noch abändern lässt.
Entscheidungen mit mehr Klarheit und weniger Angst
Sarah Momoh ist Entscheidungscoach. Sie sagt, dass manche Menschen einfach wahnsinnig viel nachdenken und grübeln, dass das aber nicht unbedingt dabei hilft, effektiv Entscheidungen zu treffen. Manchmal sei es die Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen, in anderen Fällen fehlt die Klarheit. Manchen Menschen sei es wiederum wichtig, möglichst alle in ihrem Umfeld mit ihrer Entscheidung zufriedenzustellen. Ein Anspruch, der sich aber meist nicht erfüllen lässt. Wieder andere laden ihre Entscheidungen zu stark auf und wollen mit einer Option, die sie wählen, möglichst viele Probleme auf einmal lösen. Das ist oft nicht hilfreich, um eine Auswahl zu treffen, sagt Sarah Momoh.
Sarah Momoh ist zudem kein Fan davon, mit Pro-Kontra-Listen oder Spreadsheets zu arbeiten. Beziehungsweise sagt sie, dass wir Listen, die wir anlegen, mithilfe von Bewertungskriterien sortieren sollten. Denn eine zufällige Auflistung hilft uns meist nicht, mehr Klarheit zu bekommen.
"Wir denken immer, dass Denken schlau ist, aber denken kann uns auch wirklich belasten oder in die Verzweiflung führen. Wenn wir uns zu viele Gedanken machen, ist es zu komplex fürs Gehirn."
Sarah Momoh arbeitet mit einem Modell, das vier Entscheidungstypen unterscheidet:
- Diplomatischer Entscheidungstyp
- Rationaler Entscheidungstyp
- Kooperativer Entscheidungstyp
- Impulsiver Entscheidungstyp
Sie sagt, dass wir alle eine Prägung haben, was die Art betrifft, wie wir Entscheidungen fällen. Aber auch die Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens machen, spielen eine Rolle dabei, wie wir unseren Entscheidungsprozess gestalten.
Das Gute sei, sagt Sarah Momoh, dass wir unser Entscheidungsverhalten trainieren können, wenn wir oft unsicher oder ängstlich sind, wenn wir Dinge entscheiden müssen.
Der Entscheidungscoach sagt, dass wir tief in uns drin eigentlich wissen, was die richtige Entscheidung ist. Ganz wichtig für den Entscheidungsprozess ist, aus ihrer Sicht, Selbstvertrauen zu haben und unser Ziel klar zu bestimmen. Die Frage, was möchte ich mit meiner Entscheidung erreichen, ist für Sarah Momoh essenziell.
"Wenn man das, wovor man Angst hat mal wirklich realistisch überprüft, merkt man oft, man stellt es sich schlimmer vor, als es tatsächlich ist."
Die stärkste Emotion, die es im Entscheidungsprozess gibt, sei Angst. Oft helfe es, genau zu hinterfragen, wovor genau wir Angst haben, sagt die Entscheidungscoachin. Denn oft sei die Angst vor Konsequenzen oder dem, was andere denken könnten, realistisch gesehen gar nicht so schlimm, wie wir uns das in unserer Vorstellung ausmalen.