Türkei-WahlErdogan gewinnt - auch in Deutschland
Es ist ein Wahlergebnis, wie Recep Tayyip Erdogan es sich wohl gewünscht hat. Dabei bekommt er noch größere Zustimmung von den Wählern aus Deutschland.
Erdogan ist strahlender Sieger der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei. In Zukunft ist er nicht nur Präsident des Landes, sondern auch Partei- und Regierungschef in einer Person.
Hierzulande gaben ihm rund 65 Prozent der Wähler ihre Stimme - mehr als in der Türkei selbst, da waren es rund 53 Prozent. Allerdings war die Wahlbeteiligung unter den wahlberechtigten Deutschtürken nicht sehr hoch: knapp 50 Prozent nahmen teil. Zum Vergleich: In der Türkei lag die Wahlbeteiligung bei rund 88 Prozent.
Einordnung der Zahlen
Um die Zahlen aus Deutschland besser zu verstehen, müssen wir sie genauer betrachten. So leben in Deutschland rund 2,8 Millionen Menschen, die einen türkischen Pass oder türkische Wurzeln haben. Von diesen Menschen waren rund 1,4 Millionen wahlberechtigt - und davon gingen weniger als die Hälfte zur Wahl.
"Von den ungefähr 1,4 Millionen Wahlberechtigten hier in Deutschland haben knapp 635.000 ihre Stimme abgegeben - und nur von denen sind zwei Drittel für Erdogan."
Viele waren zwar wahlberechtigt, haben aber gar nicht gewählt, sagt Erkan Arikan, Leiter der türkischen Redaktion bei WDR Cosmo. Er vermutet, dass es hierzulande Menschen mit türkischem Pass gibt, die sich schlicht nicht für die Wahl in der Türkei interessieren. Oder solche, die sich weder mit der Politik Erdogans noch mit der Politik der Opposition identifizieren können.
Möglich sei aber auch, dass manche Repressalien fürchten, wenn sie die Opposition wählen - und darum lieber gar nicht an der Wahl teilnehmen, so Erkan Arikan.
"Wenn ich die Opposition wähle, kriegt das vielleicht irgendeiner in der Türkei mit, und wenn ich dann in die Türkei einreisen will, kriege ich vielleicht Stress und werde unter Umständen verhaftet."
Erkan Arikan gehört zur zweiten Generation der Gastarbeiterkinder, ist Jahrgang 1969. Er meint, dass hauptsächlich Wahlberechtigte in seinem Alter oder eine Generation darunter zur Wahl gegangen sind.
Erdogans Leistung zählt
"Diejenigen, die Erdogan gewählt haben, wollten auch die AKP stützen", sagt der Journalist. Für diese Gruppe zähle nur das, was die AKP und Erdogan in den vergangenen Jahrzehnten für die Türkei geleistet hätten - Presse- oder Meinungsfreiheit sei diesen Wählern nicht so wichtig.
In der Infrastruktur oder im Gesundheitswesen habe es Verbesserungen gegeben, die für viele Türken sehr wichtig waren, so Erkan Arikan: "Man muss nicht mehr tage- oder wochenlang auf einen Termin im Krankenhaus warten", sagt er. "Krankenhäuser sind jetzt wieder normal besuchbar."
Wahlkampf war unfair
An der Auszählung der Wahlstimmen gab es kaum Kritik. Auch die Wahl selbst ist ohne große Beanstandungen über die Bühne gegangen. Der Kandidat der größten Oppositionspartei CHP, Muharrem Ince, erkannte den Wahlsieg Erdogans an.
Trotzdem nannte Ince die Wahl unfair - weil der Wahlkampf unfair gewesen sei, erklärt Aydogan Makasci, Türkei-Korrespondent in Istanbul.
"Die AKP und Erdogan haben vor allem im staatlichen Fernsehen bis zu zehnmal mehr Sendezeit bekommen als Muharrem Ince und die CHP."
Die Medienpräsenz der verschiedenen Parteien im Wahlkampf war extrem unausgewogen - Erdogans Partei habe bis zu zehnmal mehr Sendezeit bekommen, so unser Korrespondent. Auch unabhängige Wahlbeobachter hätten das beanstandet.
Erdogan braucht Partner
Türkei-Korrespondent Aydogan Makasci glaubt nicht, dass sich Erdogan nun noch weiter wegbewegt von der EU - er habe schließlich sein Ziel erreicht: "Er ist Staatspräsident in einem Präsidialsystem. Er kann da als Regierungs-Chef schalten und walten wie er möchte."
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass Erdogan diesen Konfrontationskurs weiter fährt. Warum? Weil er das erreicht hat, was er wollte."
Bis 2023 ist Erdogan nun gewählt - das Jahr, in dem die Türkei 100. Geburtstag feiert. Jetzt brauche Erdogan Bündnispartner, so Aydogan Makasci, um sein Land weiter voran zu bringen und in den internationalen Beziehungen wieder zu stärken. Mit einem weiteren Konfrontationskurs rechnet der Korrespondent darum nicht.
Kritik von Özdemir: Ablehnung der liberalen Demokratie
Zu den ersten Gratulanten des alten und neuen Präsidenten Erdogan gehörten Russlands Präsident Wladimir Putin, der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, Irans Präsident Hassan Ruhani und Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev.
Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ sich mit ihrer offiziellen Gratulation Zeit. Regierungssprecher Steffen Seibert twitterte am Abend: "Wir wollen Partner einer stabilen und pluralistischen Türkei sein, in der die demokratische Teilhabe und die Wahrung der rechtsstaatlichen Ordnung gestärkt werden - Bundeskanzlerin #Merkel gratuliert dem türkischen Präs. @RT_Erdogan zur Wiederwahl."
Kritik kam unter anderem von Grünen-Politiker Cem Özdemir, der twitterte: "Seien wir ehrlich zu uns: Die feiernden deutsch-türkischen #Erdogan Anhänger feiern nicht nur ihren Alleinherrscher, sondern drücken damit zugleich ihre Ablehnung unserer liberalen Demokratie aus. Wie die AfD eben. Muss uns beschäftigen."
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