Türkei"Erdoğan will Neuwahlen"

Wenn die Gewalt weiter eskaliert, wird eine Regierungsbildung zunehmend schwieriger und irgendwann muss es dann Neuwahlen geben. Genau darauf spekuliert der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, sagt Türkei-Expertin Ayca Tolun im Interview mit Schaum oder Haase.

Anfang Juni 2015 wurde in der Türkei gewählt, wenn bis Ende August keine Regierungskoalition zustande kommt, muss es Neuwahlen geben. So will es die türkische Verfassung und so will es auch Präsident Recep Tayyip Erdoğan: "Erdoğan wünscht sich Neuwahlen", sagt Ayca Tolun, Leiterin der türkischen Redaktion von Funkhaus Europa. Denn durch Neuwahlen hätte Erdoğans Partei AKP die Chance, die absolute Mehrheit wiederzuholen und dann einen erneuten Versuch zu starten, ein Präsidialsystem zu errichten, das auf Erdoğan zugeschnitten ist.

Erdoğan spielt auf Zeit

Wenn die aktuelle Gewalt weiter eskaliert, werde eine Regierungsbildung zunehmend unwahrscheinlicher, der Wunsch nach klaren Verhältnissen dafür stärker - was dem türkischen Präsidenten und seiner Partei AKP zugute komme, sagt Ayca Tolun: Die Türkei bombardiere IS-Stellungen und Stellungen der kurdischen Arbeiterpartei PKK im Nordirak, die PKK ermorde ihrerseits türkische Polizisten und Soldaten - dadurch entstehe eine Stimmung, die einen normalen politischen Alltag überhaupt nicht mehr zulasse.

Kritik aus der Türkei

Auch in der Türkei werfen viele Erdoğan-Kritiker ihrem Präsidenten vor, die momentane chaotische Situation durch sein rigoroses Vorgehen gegen Regierungsgegner und Demonstranten sogar noch zu befeuern.

"In weniger als einer Woche sind in der Türkei über 1000 Menschen festgenommen worden - die absolute Mehrheit sind kurdische und linke Aktivisten."
Ayca Tolun, Leiterin der türkischen Redaktion bei Funkhaus Europa

Die USA sehen Erdoğans Politik dagegen nicht so kritisch. Da die Türkei nun endlich im Kampf gegen die Terrormiliz IS kooperiere, werde das international umstrittene Vorgehen gegen die PKK geduldet, meint Ayca Tolun: "Man drückt mehrere Augen zu und lässt die Türkei erst einmal gewähren."