Verfassungsänderung in der TürkeiDie Reaktionen: Triumph, Zurückhaltung, Kritik
Verhaltene Stimmung nach dem Wahlergebnis. Erdogans Anhänger feiern, doch die Opposition will das Wahlergebnis anfechten. In Berlin und Brüssel gibt man sich zurückhaltend. Und die Rolle der Türkeistämmigen in Deutschland wirft Fragen auf.
Der bisher übermittelte Wahlausgang ist dieser: Mit 51,3 Prozent überwogen die Stimmen, die sich eine stärkere Machtkonzentration auf den Präsidenten wünschten. Deutliche Kritik am Ergebnis gibt es von der türkischen Opposition. Sie zweifelt eine faire Stimmauszählung an und spricht von Wahlbetrug. Wahlbeobachter der OSZE und des Europarates kritisierten, dass das Wahlverfahren nicht internationalen Standards entspräche. Eine unabhängige Medienberichterstattung im Vorfeld sei eingeschränkt gewesen, zudem sei die Arbeit der Wahlbehörden nicht transparent abgelaufen.
Reaktionen aus Berlin: Merkel erwartet Dialog
In einer gemeinsamen, ersten Erklärung mit Außenminister Sigmar Gabriel sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass sie nach dem vorherigen harten Wahlkampf nun einen "respektvollen Dialog mit allen politischen und gesellschaftlichen Kräften des Landes" erwarte. In Bezug auf einen EU-Beitritt äußerte sich Gabriel allerdings deutlich und nahm Bezug auf Erdogans Ankündigung, die Todesstrafe wieder einführen zu wollen: Dies würde Beitrittsgespräche sinnlos machen.
Gleichzeitig mahnte Gabriel zu einem besonnenen Verhalten und deutete das knappe Wahlergebnis als Zeichen einer gespaltenen türkischen Bevölkerung. SPD-Kanzler-Kandidat Martin Schulz twitterte "Der knappe Ausgang des Referendums zeigt: Erdoğan ist nicht die Türkei."
Brüssel: Ergebnis zur Kenntnis genommen
Das Schlagwort "Besonnenheit" fiel auch bei den Reaktionen aus Brüssel, berichtet Korrespondentin Bettina Klein. Man wolle Brücken nicht abreißen lassen, man wolle das Verhältnis aber neu bewerten.
"Für einige aus dem EU-Parlament ist das nächste Referendum (über die Todesstrafe) die Schwelle für den Abbruch von Beitrittsverhandlungen.
Uneins seien sich die Mitgliedsstaaten und die unterschiedlichen Parteivertreter der Länder aber über den zukünftigen Umgang mit der Partei: Einige forderten einen intensiveren Dialog, andere ein Ende der Waffenexporte. Österreich ist bisher der einzige Staat, der sofort die EU-Beitrittsverhandlung stoppen möchte. Ein weiteres Referendum über die Todesstrafe könnte diese Stimmung jedoch kippen, so Bettina Klein. Für ein Aussetzen braucht es keine Einstimmigkeit, nur 16 Staaten müssten dem zustimmen.
Nach der Wahl in Deutschland: "Bei Null anfangen"
In den Niederlanden stimmten 71 Prozent der türkischstämmigen Wähler für die Verfassungsänderung, in Österreich sogar bei 73,5 Prozent. Und auch in Deutschland fiel das Ergebnis deutlicher aus als in der Türkei selbst. Erkan Arikan, Chefredakteur der der türkischen Redaktion bei WDR Cosmo hat mit diesem Ausgang nicht gerechnet.
Einer der Gründe für dieses Ergebnis: "Viele türkischstämmige Menschen in Deutschland finden es nicht gut, was ihrem Staatspräsidenten Erdogan in den deutschen Medien nachgesagt wurde", sagt Erkan Arikan. Insofern könnte es für viele auch ein Zeichen gegen die deutsche Regierung sein, meint er.
"Schlussendlich kann ich es mir als Demokrat nicht erklären, warum Menschen hier in Deutschland leben und das demokratische System genießen, aber in der Türkei für das Gegenteil abstimmen."
Bei der Betrachtung der Zahlen der türkischstämmigen Wähler in Deutschland muss eingerechnet werden, dass nur knapp die Hälfte aller Wahlberechtigten gewählt hat und nicht alle in Deutschland lebenden Türken wahlberechtigt sind. Für die 63 Prozent jedoch, die in Deutschland mit "ja" gestimmt haben, konstatiert Erkan Arikan: "Hier ist die Integration gescheitert". Für sie bleibe Erdogan der Ansprechpartner, der immer ein offenes Ohr habe. Für den Journalisten Arikan ist das jedoch - zumindest mittelfristig - ein Trugschluss. "Hier müssen wir mit der Integrationsarbeit wieder bei Null anfangen."
Warten auf November
Erst nach den Wahlen am 3. November werden die Verfassungsänderungen greifen, dann werden ein neues Parlament und ein neuer Präsident gewählt. Erst danach wird sich die Macht final auf den Präsidenten verteilen, erklärt Christian Buttkereit, ARD-Korrespondent in Istanbul. Dann wird Erdogan auch versuchen, wieder den Posten als Parteichef der AKP einzunehmen.
"Da der Ausnahmezustand noch einmal durchs Parlament verlängert werden soll, kann Erdogan drei Monate so weiter regieren, als wäre er schon Super-Präsident - also so wie in den letzten Monaten auch."