Traum oder AlbtraumWarum wir von der Schulzeit träumen
"Setzen, sechs!" Die Schulzeit kann uns noch ein Leben lang verfolgen, besonders im Schlaf. Leonie spricht bei Tiktok darüber, dass sie auch nach fünf Jahren immer noch von ihrem Französischunterricht träumt. Aber warum kommen gerade Schulträume immer wieder? Das weiß Schlafforscherin Christine Blume.
Wir alle verbringen viele Jahre in der Schule. Es ist eine Zeit, die sehr prägend ist – mit vielen unterschiedlichen Erinnerungen. Schöne, aber auch nicht so schöne. Ob das gehasste Turnen im Sportunterricht oder in Mathe der Satz des Pythagoras, der einfach nicht in den Kopf ging.
Auf Social Media teilen gerade viele Menschen ihre Erinnerungen an die Schulzeit, die sie auch bis in den Schlaf verfolgen. Eine von ihnen ist Leonie, 20 Jahre alt. Ihr ist aufgefallen, dass es in ihren Träumen auch heute noch um ihre negativen Erfahrungen im Französischunterricht damals geht. Als Leonie etwa elf Jahre alt ist, stirbt ihr Papa. Ein einschneidendes Erlebnis für sie.
"Ich habe mich extrem unwohl gefühlt. Ich habe mich immer am liebsten verstecken wollen und hatte immer Angst, drangenommen zu werden."
Sie hat deshalb auch einen Teil des Französischunterrichts verpasst, einem Fach, in dem sie anfangs ganz gut war. Durch den Tod ihres Vaters hat sie dann aber den Anschluss verloren.
Bloßstellungen kommen im Traum wieder hoch
Leonie erinnert sich bis heute besonders an eine bestimmte Übung im Französischunterricht: "Das war so schrecklich. Da hatten wir die Übung, dass wir alle einen Text bekommen haben und wir sollten den vorlesen. Und jeder sollte so lange lesen, bis er einen Fehler macht in der Aussprache. Und dann sollten alle auf den Tisch klopfen und dann sollte die nächste Person lesen. Das war die Hölle." Leonie hängt diese Übung bis heute sehr nach, weil sie sie als Bloßstellung empfunden hat.
Diese Flashbacks in die Unterrichtszeit verfolgen sie regelmäßig in ihren Träumen.
"Es ist so ein enormer Stress in mir, weil ich die ganze Zeit diesen Gedanken habe: Ich war doch so lange nicht mehr da, wie soll ich das jetzt wieder hinkriegen?"
Und auch nach dem Aufwachen empfindet Leonie noch eine Weile diese Stresssituation, die im Traum aufgekommen ist: "Ich denke mir so: Oh Gott, was habe ich da denn wieder geträumt. Stimmt, ich musste ja mal Französischunterricht haben. Dann werde ich kurz wieder an so eine dunkle Zeit erinnert und bin froh, dass die nicht mehr da ist."
In anderen Fächern lief es für Leonie auch nicht immer top. Und trotzdem ist Französisch das einzige Fach, das sie bis in ihre Träume verfolgt.
"Französisch war das größte Fach, das mir am meisten geschadet hat, was meinen Selbstwert angeht."
Leonie sagt, dass ihre mentalen Probleme damals auch angefangen haben: "Ich verbinde Französischunterricht bis heute einfach mit einer puren Bloßstellung, mit Angst und mit einem Gefühl von: Ich kann nichts und andere sind besser als ich."
Trotzdem findet Leonie, dass Französisch eine coole Sprache ist. Vor einer Weile hat sie deshalb ihre Französischkenntnisse mit einem Sprachprogramm etwas aufgefrischt und sie hat sich auch eine französische Playlist erstellt. Auch, um wieder positive Dinge mit der Sprache zu verbinden.
Wir träumen von emotional aufwühlenden Ereignissen
Christine Blume ist Expertin, was Träume und Schlafen angeht. Die Schlafforscherin ist Co-Host des Nova-Podcasts "Über Schlafen" und sie weiß, warum solche weit zurückliegenden Erinnerungen im Schlaf wieder aufploppen. Eine Erklärung dafür ist, dass wir tendenziell von Ereignissen träumen, die emotional "herausragend" waren. Dass uns unser Gehirn ausgerechnet nachts mit diesen Ereignissen konfrontiert, liegt vor allem daran, dass unser Gehirn eben auch in der Nacht aktiv ist: "Weil es aktiv ist, können auch Erinnerungen oder Sinneseindrücke entstehen oder manchmal auch beides. Und unser Gehirn bastelt aus diesen Sinneseindrücken eine Storyline, manchmal schöner und manchmal weniger schön."
Diese Traumerinnerungen an die Schulzeit kommen auch deshalb wieder hoch, weil zurzeit viele Menschen auf Social Media über ihre Erfahrungen sprechen.
"Allein wenn wir zum Beispiel sehen, dass eine Person davon berichtet, dass sie von der Schule geträumt hat, dann kann es sein, dass unser Gehirn in der Nacht sagt: Ach, da war doch was."
Außerdem beginnt für viele Menschen gerade die Schulzeit wieder oder die Uni fängt an. Dadurch werden bestimmte Erinnerungen – etwa an Prüfungssituationen – wieder aktiviert, erklärt die Schlafforscherin.
Wir erzählen eher von negativen Träumen
Wenn wir uns die Studienlage anschauen, dann sind Träume nicht etwas, was zwangsläufig besonders negativ ist, sagt Christine Blume. Positive und negative Emotionen kommen in Träumen eigentlich sehr ausgeglichen vor: "Aber es ist natürlich so, dass wir zum Beispiel von negativen Träumen viel eher berichten."
Und die Tatsache, dass wir mit anderen Menschen tendenziell eher über negative Träume sprechen, fördert auch wiederum die Erinnerung an negative Träume, so die Schlafforscherin. Dadurch sieht es dann in der Retrospektive so aus, als wären Träume eher negativ gefärbt.
Haben Träume eine bestimmte Bedeutung?
Im Netz gibt es auch verschiedene Portale, auf denen wir Schlagworte eingeben können, um herauszufinden, was genau hinter unseren Träumen steckt. Der Schlafforscherin zufolge können wird das aber getrost bleiben lassen: "Also die Träume haben keine fixe Bedeutung in dem Sinne, dass man jetzt sagen kann, wenn das und das im Traum auftaucht, dann bedeutet es das und das."
Es lohne sich allerdings trotzdem, mal darüber nachzudenken, was einem ein bestimmter Traum sagen möchte: "Vielleicht findet man sogar Lösungsansätze für bestimmte Situationen, die einen gerade im Alltag beschäftigen." Die Schlafforscherin findet es aber auch vollkommen ok, wenn jemand sagt, die eigenen Träume interessieren ihn oder sie nicht. Viele erinnern sich daran ohnehin nicht.
"Es gibt ganz viele Menschen, die sich nicht an ihre Träume erinnern. Ich gehöre auch dazu. Und ehrlich gesagt, meine Träume interessieren mich gar nicht so."
Andere Menschen haben dagegen regelmäßig Alb- oder Angstträume, die sie auch richtig belasten. Sie wachen vielleicht sogar nachts davon auf und der Traum hängt ihnen sogar den ganzen Tag noch nach. Wer deswegen dauerhaft schlecht schläft oder sogar Angst davor hat, abends ins Bett zu gehen, der sollte auch etwas dagegen tun. Die Schlafexpertin rät in solchen Fällen zur Imagery Rehearsal Therapie.
Was wir gegen dauerhafte Albträume tun können
Dabei schaut ihr euch den Traum genau an, erstellt ein Skript – und schreibt es dann bewusst um. Und zwar so, dass es weniger furchteinflößend ist oder vielleicht sogar die Gefahr beseitigt. Dieses umgeschriebene Traumskript übt ihr dann täglich, vielleicht sogar mehrmals am Tag, über eine gewisse Zeit ein.
Ziel ist, dass dieses Traumskript Eingang in den Traum findet, sagt die Schlafexpertin: "Es gibt etwas, das nennen wir ein Wachtraumkontinuum. Was wir am Tag erleben und fühlen, beeinflusst unsere Träume. Und genau das können wir uns hier zunutze machen. Indem wir das Traumskript am Tag einüben, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es im Traum dann auch tatsächlich auftaucht."