Das "Thüringen-Projekt"Strategien, um die Demokratie zu verteidigen
Was wäre, wenn Demokratiefeinde an die Macht kämen? Vor dem Hintergrund der Landtagswahl in Thüringen spielen Rechtswissenschaftler verschiedene Szenarien durch und entwickeln Gegenstrategien. Wir müssen vorbereitet sein, sagt Projekt-Mitarbeiter Friedrich Zillessen.
Am Wochenende waren wieder Tausende Menschen auf den Straßen, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren und für die Demokratie einzustehen. Allein in Berlin waren es rund 150.000.
Wir erleben gerade sehr politische Zeiten, sagt Politikwissenschaftler Thorsten Faas. Das sieht man auch an der hohen Zahl der Parteineueintritte. Doch nicht nur die gemäßigten Parteien verzeichnen Zuwächse, auch die Parteien am äußersten Rand profitieren davon. So wie die AfD, in die seit Jahresbeginn laut eigenen Angaben rund 3.300 Menschen eingetreten sind.
Sich klar machen, welche Szenarien realistisch sind
Dass die AfD ganz eigene Ziele verfolgt, auch was den Rechtsstaat betrifft, wird immer wieder deutlich: Im Thüringer Landtag will die Partei über "Remigration" verhandeln. Und Parteichef Höcke, der wie seine Partei vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft und beobachtet wird, nennt bereits den weiteren Fahrplan, sollte die AfD an die Macht kommen: Unter anderem sollen die staatlichen Fördermittel für den Kampf gegen Rechtsextremismus oder den Klimaschutz gestrichen, der MDR abgeschaltet und der thüringische Verfassungsschutz beschnitten werden.
"Wenn wir erkennen, wann so ein autoritär-populistischer Zug gemacht wird, dann sind wir schon sehr viel weiter, als wenn wir das nicht wüssten."
Doch ganz gleich, aus welcher Richtung die Gefahren für die Demokratie und die Verfassung kommen – dass sie existieren, sollten wir uns dringend klar machen, mahnen die Forschenden des "Thüringen-Projekts" von der Debattenplattform "Verfassungsblog". Sie spielen in diesem Projekt durch, wie extremistische Parteien unsere Verfassung ganz legal unterwandern könnten. Dabei ist die AfD, wie sie betonen, nur Anlass aber nicht Gegenstand der Untersuchung.
Auch eine gute Verfassung hat Schwachstellen
Die Demokratie zu untergraben sei viel einfacher, als die meisten wohl denken würden, sagt Friedrich Zillessen, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei dem Projekt.
"Eine Verfassung kann nie wasserdicht sein. Es gibt immer Schwachstellen."
Dabei haben wir seiner Ansicht nach in Deutschland eine sehr gute und funktionale Verfassung, auf die wir stolz sein können. Doch wir sollten uns nicht darauf ausruhen, meint er. Denn jede Verfassung habe ihre Schwachstellen. Genau da setze das "Thüringen-Projekt" an.
Blockieren und stören als Strategie
Die aktuellen Pläne der Bundesregierung, das Bundesverfassungsgericht besser zu schützen, sei eine gute Idee, sagt Friedrich Zillessen: Es gibt derzeit die Überlegung, bestimmte Regelungen ins Grundgesetz aufzunehmen, damit sie erst mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit geändert oder beschlossen werden können – beispielsweise die Wahl der Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts.
Doch man müsse sich klar machen, dass es auch bei dieser Regelung
Fallstricke gäbe. Möglich wäre etwa eine Blockade im Bundestag, wenn
eine Partei über ein Drittel der Stimmen verfügt.
"Wir haben uns jetzt ein halbes Jahr mit der Frage auseinandergesetzt, was wäre, wenn eine Partei nach der Landtagswahl in Thüringen an die Macht kommen würde, die ihre demokratischen Rechte dazu nutzen möchte, die Rechte anderer abzubauen."
Schwerpunkt des "Thüringen-Projekts" ist der Blick auf die Landesebene. Und die sollte man nicht unterschätzen, meinen die Forschenden. Denn bereits da ließe sich viel verändern und umgestalten, selbst bei nur einem Drittel der Sitze.
Wenn Höcke an die Macht kommt
Die AfD habe in Thüringen nicht umsonst das Wahlziel von einem Drittel der Landtagsmandate ausgegeben, sagt Friedrich Zillessen. Denn selbst wenn die Partei nicht an die Regierung kommt, kann sie mit einer Sperrminorität "viele Entscheidungen blockieren und so Sand ins Getriebe streuen". Allein das würde schon "viel Chaos verursachen" und der AfD letztlich nutzen, weil sie so eine funktionierende Regierung sabotiert.
Käme die AfD in Thüringen an die Regierung, könne man davon ausgehen, dass sie großes Interesse daran hätte, etwa das Innen- und Kultusministerium zu übernehmen, sagt Friedrich Zillessen: "Der Innenminister könnte zum Beispiel sofort den Polizeipräsidenten austauschen und den Präsidenten des Verfassungsschutzes." Spielt man das Szenario weiter, könnte die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz in Thüringen eingestellt werden.
"Das Bildungsministerium wäre ein total interessantes Resssort für die AfD, denn sie kann dort unterhalb der Schwelle von Gesetzen regieren. Das heißt, sie kann über Verwaltungsvorschriften in die Lehrpläne eingreifen."
Angst, mit ihren Planspielen erst recht eine Anleitung für extremistische Parteien zu schaffen, den Staat zu unterwandern, habe man beim "Thüringen-Projekt" nicht, sagt Friedrich Zillessen. "Weil wir genau wissen, dass diese autoritär-populistischen oder extremistischen Akteure untereinander vernetzt sind und voneinander lernen."
Vorbereitet sein als wichtiges Ziel
Polen, Ungarn, aber auch die USA unter Trump oder Israel, wo es den Versuch gab, das Verfassungsgericht zu beschneiden, lieferten schon genügend Beispiele, meint der Rechtswissenschaftler. Sein Wahlspruch lautet daher eher: "Eine wehrhafte Demokratie ist eine vorbereitete Demokratie". Wenn wir Vorkehrungen treffen, dann sei schon viel gewonnen.
Die Demonstrationen der vergangenen Wochen machen ihm Mut, sagt Friedrich Zillessen. Denn eine Demokratie brauche immer die Menschen, die aktiv hinter ihr stehen.