Debatte um Sanna MarinWas wir von tanzenden Politikerinnen lernen können
In einem Video tanzt und feiert die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin – und löst damit eine heftige Debatte aus. Die einen kritisieren sie für ihr Verhalten in krisenhaften Zeiten, die anderen sprechen ihre Solidarität mit der Politikerin aus. Was die Debatte deutlich zeigt, ist aber vor allem, wie patriarchal wir Macht immer noch denken, sagt Lorena Jaume-Palasi.
Eine 36-Jährige tanzt mit ihren Freundinnen und hat Spaß – dieses Szenario erweckt noch keine Aufmerksamkeit. Außer es handelt sich um eine hochrangige Politikerin. Seit Tanzvideos der finnischen Ministerpräsidentin aufgetaucht sind, reißt die Debatte um ihr Verhalten nicht ab – daran konnten weder Entschuldigungen, noch ein freiwilliger Drogentest etwas ändern.
"Wir sehen Kommentare, die typisch sexistisch sind und wir sehen, wie hier patriarchale Erwartungshaltungen auf eine junge Frau projiziert werden."
Lorena Jaume-Palasi ist Gründerin von "The Ethical Tech Society". Sie berät etwa die Spanische Regierung und das EU-Parlament, wenn es darum geht, Netzwerke und Algorithmen möglichst diskriminierungsfrei zu gestalten. Sie findet, in der Debatte werde vor allem deutlich, welche Erwartungshaltungen an Politikerinnen herangetragen werden – nämlich sich möglichst männlich und alt zu verhalten.
Bei männlichen Politikern erlaubt
Das wird vor allem im Vergleich mit männlichen Kollegen deutlich. Wenn Boris Johnson ziemlich holprig und mit Laserschwert umher schunkelt, dann erweckt das vielleicht Belustigung – aber keine Aufregung. Hier werde mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen, findet unser Deutschlandfunk-Nova-Reporter Stephan Beuting.
Auch wenn Ex-US-Präsident Barack Obama bei Ellen DeGeneres amateurhaft das Tanzbein schwingt, gibt es keine Aufregung. Das liegt an der Erwartungshaltung, dass professionelle Männer eben nicht besonders gut tanzen können, meint Lorena Jaume-Palasi.
Es bestätigt also vielmehr ihre Professionalität als Politiker. Aber nur solange es sich dabei nicht um klassische Tänze handelt. Ein Walzer bei der Inauguration ist nicht nur geduldet, sondern erwünscht. Ein Partytanz von einer Politikerin hingegen sorgt für Kritik.
"Progressiv ist, eine Politikerin nach der Politik, die sie führt, zu bewerten – nicht nach ihrem privaten Verhalten."
In den Debatten zeigt sich also vor allem, wie fest patriarchale Strukturen verankert sind und wie sie unser Bild von Macht prägen, so Lorena Jaume-Palasi. Statt also über das private Verhalten von Sanna Marin zu diskutieren und daraus auf ihre Fähigkeiten als Politikerin zu schließen, sollten wir uns auf das fokussieren, was tatsächlich zählt – nämlich wie sie ihr Amt ausführt.