Ballroom und EqualityWenn wir uns beim Tanzen von Konventionen befreien
Mit Musik können wir uns ausleben. Manchmal bietet die Tanzfläche auch einen Ort, an dem wir für unsere Rechte einstehen und dabei safe sind. So eine Funktion hat die Ballroom-Szene für JJ Sun Milan. Und Michael liebt beim Equality den Rollentausch.
Beim "Equality" tanzen Menschen losgelöst von den üblichen geschlechtlich festgelegten Rollen. So auch Michael, der Turniere, Standard- und lateinamerikanische Tänze oft auch mit einem Tanzpartner tanzt. Das gleichgeschlechtliche Tanzen hat nicht unbedingt etwas mit der sexuellen Orientierung zu tun, sagt Michael, der sowohl mit Frauen als auch mit Männern tanzt.
Equality-Tanz: Der Rollenwechsel sorgt für mehr Verständnis
Für ihn hat der Rollenwechsel einen großen Vorteil: Denn indem er sich selbst als Mann führen lässt, kann er seinen Stil verbessern, meint er. "Einfach weil ich als Herr dann weiß, was eine Dame braucht." Das selbst zu fühlen, gehe viel schneller, als es mit Worten zu erklären.
"Die Rolle zu wechseln, sprich geführt zu werden, das kann die Führung verbessern. Einfach, weil ich als Herr dann weiß, was eine Dame braucht."
Mit Intimität, Kuscheln oder Zärtlichkeiten habe das gleichgeschlechtliche Tanzen wenig zu tun. Körperliche Nähe gehört beim Tanzen ohnehin von Grund auf dazu, sagt Michael. Der Sprung dann mit einem gleichgeschlechtlichen Partner nah zu sein, sei da gar nicht mehr so groß.
Equality ist eine komplett andere Herausforderung
Dass Michael als nicht schwuler Mann gleichgeschlechtlich tanzt, sorgt öfter für Verwunderung, erzählt er. Ihm aber mache das einfach großen Spaß, da diese Art zu tanzen einen komplett anderen sportlichen Anspruch habe.
"Equality" hat einen ganz anderen Anspruch. Es ist erlaubt, auch während eines Tanzes die Führungsrollen immer wieder zu tauschen.
Führung oder geführt werden – mitunter wechseln die Rollen der Tanzenden sogar innerhalb eines Tanzes, sagt Michael.
Ballroom-Szene: Jeder ist willkommen
Voguing ist ein Tanzstil, der an die typischen Posen von Models in der Modezeitschrift Vogue erinnert. Voguing wurde Anfang der 80er-Jahre von queeren und trans People of Color in New York erfunden.
Diese waren weitgehend ausgeschlossen von der weißen Trans- und Homosexuellen-Szene und gründeten die Ballroom-Kultur, um ihre Leidenschaft für Mode, Tanz und Performance auszuleben. Einer, der dort seinen Safe-Space gefunden hat, ist Jay, der sich in der Szene JJ Sun Milan nennt.
"Ballroom ist inklusiv. Man muss nur als weiße Person wissen, wo da die Rolle ist, dass man Gast in dieser Kultur ist."
Die Ballroom-Szene schließe niemanden aus, sagt Jay. Er ist über eine spezielle Form des Hip-Hop-Tanzens in die Szene gekommen. In Berlin hat Jay um 2014 herum an verschiedenen Workshops und sogenannten Balls teilgenommen. Sofort habe er gemerkt, dass die Ballroom-Szene ein Space ist, den er in anderen Subkulturen so nicht finden kann.
"Ich habe mich da sofort wohlgefühlt und gemerkt, das ist genau der Space, den ich in anderen Subkulturen nicht haben kann. Ich habe sofort gespürt, dass ich das brauche."
Bei Voguing, erklärt Jay, gibt es zunächst eine Vorauswahl. Hier zeige jeder seine Skills alleine auf dem Laufsteg, um eine Runde weiterzukommen. Später kommt es dann zu einem Battle zwischen den Tanzenden. Anders als bei Tanz-Battles im Hip-Hop wird hier aber nicht nacheinander oder abwechselnd getanzt, sondern gleichzeitig auf der Bühne.
Ballroom-Szene in Häusern organisiert
Organisiert ist die Szene nicht in Crews oder Gruppen, sondern in Häusern, auch Family of Choice genannt, sagt Jay. Die Häuser haben einen Vater oder eine Mutter und Kinder, die dort untergebracht sind. Wer nicht Mitglied ist, hat den Status eines 007 und ist damit ein Tanzender ohne zugehöriges Haus.
"Häuser sind Family of Choice. Die haben sozusagen Vater und Mutter des Hauses und eben die Kinder, die reinkommen."
Ursprünglich der Draq-Szene und dem Schönheitswettbewerb entsprungen, geht es auch in der Ballboom-Szene um Leistung und Anspruch, sagt Jay. Wobei die Kikis-Szene innerhalb der Ballrooms die Nachwuchssparte ist, bei der mehr der Spaß im Vordergrund stehe und die Major-Szene den Profi-Bereich darstelle.
"Die Ballboom-Szene ist für die queere BIPoC-Szene schon wichtig, weil das der Space ist, wo man sich eben einfach entfalten kann, wo man auch sicher ist."
Für die queere Szene der People of Color sei die Ballrom-Szene ein wichtiger Ort der Entfaltung und ein Safe-Space, sagt Jay. Auch wenn das Voguing zuletzt durch die gefeierte Netflix-Serie "Pose" viel Aufmerksamkeit bekommen hat, für Deutschland wünscht sich Jay, dass die Szene noch mehr Zulauf bekommt.