Anorektikerin Larissa Sarand"Das hat mit freiem Willen nicht mehr viel zu tun."
Vor einigen Jahren, da hat Larissa noch knapp 40 Kilo gewogen. Magersucht. Eine Krankheit, die viel mit Kontrolle und Zwang zu tun hat. Keine riesige Überraschung für Larissa - denn ihr Leben war außer Kontrolle geraten.
"Es ist ein bisschen wie bei einem trockenen Alkoholiker." Larissa Sarand hat keine Angst vor Vergleichen. "So ähnlich ist das für Magersüchtige. Ich bin Anorektikerin und gerade nicht akut bedroht." Das heißt: Larissa sorgt gerade gut für sich. Drei Mahlzeiten am Tag, auch wenn es manchmal schwer fällt.
Seit der ganz schlimmen Zeit hat sie 12 Kilo zugenommen und wiegt heute 52 Kilo, bei einer Körpergröße von 1,65 Meter. Nimmt man den BMI als Maßstab, ist das immer noch an der untersten Grenze dessen, was als gesund gilt.
"Für Magersüchtige ist ein Restaurant die Vorhölle. Man kann nicht kontrollieren, was und wie viel man bekommt."
Als ihr Freund ihr einen Heiratsantrag gemacht hat, da wurde Larissa ihr Problem erstmals bewusst. Dabei ging es nicht um den Antrag - doch ihr Freund wollte mir Larissa zur Feier des Tages essen gehen. Und Larissa war entsetzt: "Da habe ich zum ersten Mal 'Problem' gedacht", sagt sie. Da war sie schon gefangen in Verschleierungstaktiken der kreativ-morbiden Art.
Wenn sie sich mal zum Ausgehen überreden ließ, dann nur zu ihren Bedingungen. "Das Restaurant habe ich nach Größe der Salatbeilage ausgesucht", erzählt sie - denn darunter kann man allerlei andere Sachen verstecken. "Und Klamotten habe ich nach der Größe der Taschen ausgesucht" - denn darin können zur Not auch ganze Mahlzeiten vom Teller verschwinden.
"Irgendwann fühlst du gar nichts mehr. Es ist alles taub."
Taktiken, wie Larissa sie entwickelt hat, machen es so schwer, die Krankheit früh zu erkennen. Wenn Freunde etwas mitbekommen und sich vielleicht schließlich trauen, etwas zu sagen, dann ist die Magersucht oft schon höchst akut.
Erst stirbt der Vater, dann die Mutter
Larissa war irgendwann nicht mehr in der Lage, einen normalen Alltag aufrecht zu erhalten und musste ihr Referendariat abbrechen. Sie wollte Lehrerin für Deutsch und politische Bildung werden. Im Studium galt sie immer als unkompliziert. Aber 2014 starb Larissas Vater an Krebs, sechs Wochen später brachte sich ihre Mutter um. Der totale Kontrollverlust. "Dabei habe ich in der Zeit gut funktioniert", sagt Larissa. Erst hat sie die eine, dann die andere Beerdigung organisiert.
"Ich wollte keine Belastung sein. Nach dem Motto: Da kommt wieder die mit dem Familien-Päckchen."
Larissa brannten auf einmal regelmäßig Sachen beim Kochen an. Der Grund: Sie wollte kein Öl mehr benutzen. Hinzu kam ein ungesund-intensives Sportprogramm. 15 Kilometer jeden Tag. Eingekauft wurde nur im entferntesten Supermarkt. Lebensmittel-Allergien mussten als Ausreden fürs Nicht-Essen herhalten - und ihre Freunde machte Larissa mundtot.
In Eine Stunde Talk erzählt uns Larissa, warum sie den Netflix-Film "To the Bone" für schlecht hält, wie sie mit ihren Selbstmord-Gedanken umgegangen ist und unter welchen Umständen Currywurst mit Mayo vielleicht auf dem Speiseplan stehen könnte.
Hinweis: Menschen, die unter Depressionen leiden oder Suizidgedanken haben, finden rund um die Uhr Hilfe bei der Telefonseelsorge: 0800-1110111 und 0800-1110222. Die Gespräche sind anonym und vertraulich. Hilfe gibt es auch Online http://www.telefonseelsorge.de.
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