Sulaiman TadmoryGeflüchtet aus Syrien – und jetzt zurück
Seine Heimat nie wieder sehen – mit diesem Gedanken hat Sulaiman Tadmory gelebt. 2015 flüchtet er vor den Bomben von Assads Armee nach Deutschland. Nach dem Sturz des Diktators ist er nun zurück in Syrien. Für Sulaiman ist das weiterhin unvorstellbar.
Zwei Jahre ist Sulaiman Tadmory eingeschlossen in der syrischen Stadt Homs. Eingekesselt von den Truppen des Präsidenten Baschar al-Assad. Er ist zu dem Zeitpunkt 23 Jahre alt und sein Leben hat sich brutal verändert: kaum Essen, keine Medikamente, seine Familie nur wenige hundert Meter entfernt – und doch unerreichbar.
"Ich habe mir nie vorgestellt, dass ich eines Tages zurück in die Heimat gehen darf."
Sulaiman hat uns damals erzählt, dass er sich irgendwann an den Gedanken gewöhnt hat, dass er bald sterben könnte. Scharfschützen schießen auf Menschen, die die Altstadt von Homs – die letzte Bastion der Rebellen – verlassen wollen. Er ist trotzdem weiterhin als Journalist aktiv und filmt den Horror – weil er der Welt zeigen will, was in seiner Heimat passiert. Aus dem Material entsteht später der Dokumentarfilm "Homs und ich".
Unvorstellbar: Zurück in der Heimat
Nur wenige haben das Glück wie Sulaiman, die Stadt 2015 während eines kurzen Waffenstillstands verlassen zu können – die meisten seiner Freunde sterben, erzählt er uns. Sulaiman schafft es nach Deutschland und arbeitet auch hier als Journalist. Immer wieder berichtet er für uns über seine Heimat, ohne selbst dort zu sein.
Nie hätte er damit gerechnet, dass er jemals wieder sein Land von innen sehen wird. Doch jetzt, Ende 2024, ist es soweit. Nach dem Sturz Assads ist Sulaiman in seine Heimat Homs zurückgekehrt – eine äußerst emotionale Angelegenheit, in die er uns Einblicke gibt.
"Es war sehr emotional für mich, weil ich die Stadt einfach liebe. Ich hab mir nie vorgestellt, irgendwo anders zu leben. Ich wurde vertrieben – und es war einfach ein unbeschreibliches Gefühl. Es war sehr schön."
In Syrien dreht Sulaiman jetzt eine Doku über sein Land und was dort gerade passiert ist und passiert.
"Ich war in vielen Ecken, wo ich mit meinen Freunden gechillt habe früher. Die Menschen strahlen wirklich so vor Freude. Wahnsinn, wirklich Wahnsinn, ich hab so etwas noch nie erlebt."
In der drittgrößten syrischen Stadt Homs im Westen des Landes – während des Bürgerkriegs die sogenannte „Hauptstadt der Revolution“, in der sich viele Gegner Assads aufhalten – hat jetzt die islamistische Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) die Macht.
Gemischte Gefühle
Sulaiman freut sich über die neuen Möglichkeiten – allerdings ist seine Laune auch nicht durchweg positiv, hat er uns erzählt. Wie es ihm geht, wisse er nicht so genau, „manchmal schwierig, manchmal schöner“ sagt er. Er hat sich in Homs mit seinem Cousin verabredet, dessen Bruder im Bürgerkrieg von einem Scharfschützen erschossen wurde. 15 Jahre lang hat er ihn nicht mehr gesehen, deshalb ist er sehr aufgeregt: "Ich weiß nicht, wie ich ihn sehen kann. Ich weiß nicht, ob ich das kann."
Es sind sehr viele gemischte Gefühle. Freude und Erinnerung, Leid, sind sehr nah beieinander.
"Ich bin manchmal sehr glücklich, dass ich wieder in der Heimat bin. Aber die Stadt ist leer, meine Cousins sind tot. Es ist sehr viel Freude – und manchmal sehr viel Leid."
Erst jetzt hätten seine Familie und er erfahren, dass zwei andere Cousins, die 2012 verhaftet wurden, bereits 2014 im Foltergefängnis umgebracht wurden. "In meiner Heimat hatte ich immer Angst vor Raketen und dem Geheimdienst", erzählt Sulaiman. Und "ständige Angst vor einer Nachricht, dass mein Cousin, mein Bruder, meine Mutter umgebracht wurden."
Das Gefühl von Sicherheit
Und jetzt? Jetzt könne er einfach so durch die damals unter Bombenbeschuss stehende Altstadt fahren – das sei "wahnsinnig" und er könne das kaum in Worte fassen.
"Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich sicher in meiner Heimat. Ich habe zum ersten Mal einfach hundert Prozent Sicherheit gefühlt."
"Ich habe mich nie so sicher gefühlt in meinem Leben wie jetzt", sagt Sulaiman. In Deutschland habe er sich zwar sicher gefühlt – "aber man ist halt fremd, am Anfang war es sehr schwer". Es sei eine große Herausforderung gewesen, die deutsche Sprache und Kultur zu lernen.
Noch immer sehr viele Ruinen in Homs
Seit damals sei in Homs wenig bis nichts passiert, erzählt Sulaiman. In der Altstadt ständen nach wie vor – fast – nur noch Ruinen. Ein paar Häuser seien inzwischen wieder aufgebaut worden, aber sehr viele Menschen hätten ihre Häuser in den letzten zehn Jahren nicht wieder errichten dürfen. Viele seien ins Ausland gegangen oder hätten in einem Zelt an der türkischen Grenze gelebt.
Doch genau jetzt kämen sehr, sehr viele Menwschen zurück in die Heimat: Auf der Autobahn von Damaskus nach Homs und der von Beirut nach Damaskus habe er wahnsinnig viele Autos gesehen.
"Sehr viele Menschen kommen jetzt zurück nach Hause – sehr schnell, obwohl auch viele denken: Okay, man weiß nicht, was passiert. Aber es könnte nie so schlimm sein wie Assad."
Sulaiman hat einen deutschen Pass und konnte über Beirut im Libanon dann nach Syrien einreisen – mit seinem syrischen Ausweis. Vor dem Assad-Sturz hätte er ein Visum in Syrien kaufen müssen und dafür Geheimdienstleute bezahlen, damit sie ihn nicht verhaften, hat uns Sulaiman erzählt. Das hätte er nur nie gemacht, weil es viel zu gefährlich war.
Eigentlich will Sulaiman bis zum 23. Dezember bleiben und dann zurück nach Hamburg fliegen. Inzwischen ist er sich aber unsicher, ob ihm die Zeit in Syrien überhaupt ausreicht. Denn er hat viel vor: Natürlich will er seine Familie treffen und die Gräber der Menschen besuchen, die er verloren hat.
Die Versprechungen der HTS
Und dann ist da noch der Film, den er für den NDR macht. Sulaiman hat sich mit HTS-Leuten getroffen. Ob die HTS und ihr Führer Abu Mohammed al-Dschulani, bürgerlich Ahmed al-Scharaa, ihren moderaten Kurs ernst meinen, weiß er nicht.
"Was man glauben kann, weiß ich nicht. Die HTS ist noch neu."
"Genau wie alle Regierungen" hätten sie viel versprochen: Es sei ein falsches Bild von HTS, dass Minderheiten Angst haben müssten oder dass Frauen keine Rechte haben, hätten sie ihm erzählt. "Was man glauben kann, weiß ich nicht. Sie sind noch neu. Als Journalist bin ich immer kritisch, wenn ich mit Politikern spreche."
Die Zukunft wird zeigen, ob sich die Versprechungen bewahrheiten. Nicht nur Sulaiman dürfte das sehr freuen.