Fotoprojekt über SuizideLitauens trauriger Rekord
Wenn sich Menschen das Leben nehmen, hinterlassen sie auch immer Angehörige und Freunde. In Litauen sind das so viele wie in keinem anderen Land Europas.
Litauen ist das Land mit der höchsten Suizidrate Europas: Im Jahr 2015 lag sie laut Weltgesundheitsorganisation bei 33 pro 100.000 Einwohnern. Umgerechnet auf eine Stadt wie Köln (1 Million Einwohner) hieße das, dass sich fast täglich ein Mensch das Leben nehmen würde.
Litauen: höchste Suizidrate Europas
Der Berliner Fotograf Hannes Jung hat das Thema in seinem Fotoprojekt "How is life?" dokumentiert. Er ist dafür mehrfach nach Litauen gereist, hat mit Psychologen gesprochen, Sozialarbeitern, Priestern, Polizisten - und mit Menschen, die andere durch einen Suizid verloren oder selbst schon einmal versucht haben, sich das Leben zu nehmen. Gabija zum Beispiel.
"Den Wind selbst kann man nicht fotografieren, wohl aber seine Wirkung."
Gabija ist 21 Jahre alt. "Sie hat in ihrem Leben schon so viel erlebt, wie wir wahrscheinlich alle zusammen nicht erleben werden", sagt Hannes. Als sie acht war, ist ihre Mutter an Krebs gestorben. Als sie elf war, hat sich ihre Schwester umgebracht, kürzlich hat ihr Vater sich das Leben genommen. Gabija selbst hat zwei Suizidversuche hinter sich.
"Das ist schrecklich", sagt Hannes, "aber ich habe auch ihre Stärke gesehen. Sie hat gelernt, damit umzugehen." Gabija hat auch schon bei der Telefonhotline gearbeitet, bei der sich suizidgefährdete und betroffene Angehörige melden können.
Warum gerade in Litauen die Suizidrate höher ist als in den meisten anderen Ländern der Welt, ist nicht einfach zu erklären. Manche Ursachen liegen zudem auch weit zurück, in der sowjetischen Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg. Vor allem die Landbevölkerung war davon betroffen, Bauernhöfe und Agrarflächen wurden enteignet und zwangskollektivisiert.
Bis heute ist die wirtschaftliche Situation in Litauen schwierig. Es gibt große Probleme mit Alkoholismus, erzählt Jung, und vor allem unter Männern gebe es keine Kultur, über Probleme zu reden, schon gar nicht über psychische. Der Mann gelte als starkes Geschlecht. Und so sind von Suiziden auch deutlich mehr Männer als Frauen betroffen.
Hinzu komme die Angst, die einige Menschen immer noch mit psychiatrischen Einrichtungen verbinden. Denn früher wurden politische Gefangene in Psychiatrien gefangen gehalten und für verrückt erklärt. Auch spiele Religion eine Rolle. Die einflussreiche katholische Kirche geht mit dem Thema Selbstmord restriktiv um, zitiert das Magazin "Profil" Danutė Gailienė, Professorin für Trauma- und Krisenpsychologie an der Universität von Vilnius.
Wie eigentlich fotografisch mit dem Thema Selbstmord umgehen? Hannes Jung liefert eine Metapher: Den Wind selbst kann man nicht fotografieren, wohl aber seine Wirkung.
Seine Fotos werden im September in Kaunas in Litauen ausgestellt. Zur Ausstellung will er alle Menschen einladen, mit denen er für sein Projekt gesprochen hat.
Hilfe im Notfall
Wenn du selbst von Suizidgedanken betroffen bist, versuche, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Das können Freunde oder Verwandte sein, müssen es aber nicht. Es gibt eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen du - auch anonym - mit anderen Menschen sprechen kannst. Eine Übersicht der Angebote findest du zum Beispiel bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.
Sofortige Hilfe erhältst du rund um die Uhr bei der Telefonseelsorge unter der kostenlosen Rufnummern 0800 - 111 0 111 und 0800 - 111 0 222. Und im Internet unter www.telefonseelsorge.de.