SüdkoreaWie Präsident Yoon eine Staatskrise ausgelöst hat
Was ist eigentlich los in Südkorea? Erst verhängt Präsident Yoon das Kriegsrecht, dann muss er die Entscheidung zurücknehmen und verschanzt sich im Präsidentenpalast. Wir klären, wie es dazu kommen konnte und was jetzt passieren könnte.
Am 3. Dezember 2024 erklärte Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol in einer überraschenden Fernsehansprache das Kriegsrecht. In seiner Rede beschuldigte er die Opposition, mit Nordkorea zu sympathisieren und staatsfeindliche Aktivitäten zu unterstützen. Das waren Vorwürfe, für die er aber keine Beweise vorlegte.
Zudem verschleierte diese Argumentation, worum es Yoon wirklich ging: Er und seine konservative Partei, die auch die Regierung stellt, blockierten sich gegenseitig mit der Opposition. Es konnten keine Gesetze mehr verabschiedet werden und zuletzt auch kein Haushalt.
Yoon erklärte das Kriegsrecht und schickte Soldaten zum Parlament. Kriegsrecht bedeutet, dass alle politischen Aktivitäten und Proteste verboten sind und Medien nicht mehr unabhängig berichten dürfen.
Sung-Un, ein Südkoreaner, der seit 2010 in Deutschland lebt und in Leipzig als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Berlin arbeitet, war geschockt. Er äußerte seine Fassungslosigkeit darüber, dass das Staatsoberhaupt Südkoreas verfassungswidrig das Kriegsrecht ausgerufen habe und sich weiterhin gegen Ermittlungsverfahren stelle. Sung-Un betont, dass der Rechtsstaat durch diese Handlungen des Präsidenten zunichtegemacht werde.
"Das macht mich fassungslos, dass das Staatsoberhaupt Südkoreas total verfassungswidrig das Kriegsrecht ausgerufen hat und sich komplett gegen Ermittlungsverfahren stellt."
Südkorea ist erst seit 1987 eine Demokratie, vorher herrschte in dem Land eine Militärdiktatur. Viele Menschen in Südkorea werteten die Ausrufung des Kriegsrechts als einen schweren Schlag gegen die Demokratie.
Haftbefehl wegen Staatsstreich
Sung-Un organisierte in Leipzig eine Demonstration gegen Yoons Entscheidung. Er fühlte sich verpflichtet, etwas zu unternehmen, auch wenn er nicht in Südkorea lebt. Auch in Südkorea selbst gingen die Menschen auf die Straßen, zogen vor das Parlament in Seoul.
"Ich wollte unbedingt etwas machen, obwohl ich in Deutschland lebe. Nur zuzuschauen, hat mich gequält."
Die Proteste in Südkorea zeigten schnell Wirkung. Sowohl Oppositionsmitglieder als auch einige Abgeordnete aus Yoons eigener Partei forderten die Aufhebung des Kriegsrechts. Unter dem zunehmenden Druck zog Yoon seine Entscheidung nach wenigen Stunden zurück. Ein Amtsenthebungsverfahren wurde eingeleitet, und ein Haftbefehl gegen ihn wegen eines möglichen Staatsstreichs wurde ausgestellt.
Dieser konnte allerdings bisher nicht vollstreckt werden, da sich Yoon im Präsidentenanwesen verschanzt hat. In Südkorea gilt für einen Staatsstreich noch die Todesstrafe.
Sung-Un erklärte, dass seine Freundinnen sehr besorgt und wütend seien. Viele von ihnen seien überzeugt, dass es eigentlich keine Todesstrafe geben sollte, was auch seiner Meinung entspreche. Dennoch betonten sie, dass Yoons Handlungen als Staatsstreich gelten, und das eingeleitete Verfahren gegen ihn sehe die Todesstrafe als Höchststrafe für diesen Tatbestand vor.
Sung-Un bemerkte, dass einige seiner Freundinnen nun darüber nachdächten, ob sie die Todesstrafe in diesem speziellen Fall mit ihrem Gewissen vereinbaren könnten, da sie besorgt seien, welchen weiteren Schaden Yoon der koreanischen Demokratie und der Verfassungsordnung zufügen könnte. Sie zeigten Verständnis dafür, warum für diese Straftat die Todesstrafe vorgesehen sei.
"Das, was Yoon da gemacht hat, gilt als Staatsstreich. Die Höchststrafe, die man in Korea bekommt oder die das koreanische Gesetz vorsieht, für Staatsstreich, ist die Todesstrafe."
Bevölkerung tief gespalten
Doch die Bevölkerung ist gespalten, auch die Familie von Sung-Un hat Yoon gewählt, sein Vater unterstützt ihn noch heute. Das habe zu seinem ersten größeren Streit mit seinem Vater seit längerer Zeit geführt, erzählt Sung-Un.
Für die ARD berichtet Katharina von Tschurtschenthaler als Korrespondentin über Südkorea. Sie sagt, die südkoreanische Bevölkerung sei tief gespalten, ähnlich wie in den USA. Diese Spaltung zeige sich auch bei Protesten vor dem Amtssitz Yoons. Dort würden Unterstützer Yoons Schilder in die Luft halten, mit Aufschriften wie "Stoppt den Diebstahl".
"Die Anhänger von Yoon sehen ihn als starke Figur, während seine Gegner ihn als Bedrohung für die Demokratie betrachten."
Sie beschreibt Yoon als einen relativen Rookie, also Newcomer in der Politik. Dort sei er erst seit einigen Jahren aktiv und werde mittlerweile von vielen als ziemlich autoritär bezeichnet. Er habe es dann aber geschafft, innerhalb kürzester Zeit wirklich relativ bekannt und auch beliebt zu werden.
Im Wahlkampf habe er vor allem auf junge Männer abgezielt, die teilweise große Fans von ihm wurden. Er zeichne sich auch durch eine eher antifeministische Politik aus. Seine Anhänger würden ihn jetzt noch als starke Figur sehen.
"Yoon wird oft als Südkoreas Trump bezeichnet. Seine antifeministische Politik hat ihm eine treue Anhängerschaft eingebracht."
Das Amtsenthebungsverfahren gegen Yoon läuft, und viele fragen sich, wie es weitergeht. Von Tschurtschenthaler sagt, das könne man jetzt noch nicht sagen. Sie habe mit einem japanischen Politikwissenschaftler gesprochen – dieser meinte, das Verfassungsgericht werde Yoon aus dem Amt werfen. Es werde Neuwahlen geben, und die Opposition werde gewinnen.
Tatsächlich ist aber noch nicht klar, wie das Verfassungsgericht entscheiden wird, dafür hat es auch noch ein paar Monate Zeit. Sollte das Verfassungsgericht Yoon die Rückkehr ins Amt erlauben, könnten die politischen Spannungen weiter eskalieren. Sung-Un äußert seine Sorge, dass Yoon sofort wieder das Kriegsrecht ausrufen könnte.
"Ich befürchte, dass Yoon sofort wieder das Kriegsrecht ausrufen würde. Das würde die Demokratie in Südkorea wirklich in Gefahr bringen."
Für seine Forschung fliegt Sung-Un im März nach Seoul. Er hofft, dass sich die Situation bis dahin beruhigt hat. Wenn nicht, dann werde er auch in Seoul an Demos teilnehmen.