Von der Vergangenheit eingeholtMobbingvorwürfe gegen Promis in Südkorea
In Südkorea gibt es gerade ein großes Thema: Mehreren Schauspielerinnen, Sportlern und K-Pop-Stars wird vorgeworfen, zu Schulzeiten Mitschülerinnen und Mitschüler gemobbt zu haben. Verbände und das Sportministerium wollen hart durchgreifen. Eine Art moralisches Saubermachen?
Einige der südkoreanischen Prominenten geben zu, in ihrer Schulzeit andere Kinder und Jugendliche gemobbt zu haben, und entschuldigen sich auch dafür. Andere streiten die Vorwürfe ab, vielleicht auch aus Angst vor den angedrohten Konsequenzen: Der südkoreanische Volleyballverband zum Beispiel ist gerade dabei, Spielerinnen und Spieler, die eine Mobbinggeschichte haben, zu sperren. Auch Trainerin oder Trainer soll man nicht werden können.
Betroffen sind unter anderem die Zwillinge Lee Jae und Lee Da Yeong – bisher Leistungsträgerinnen und Aushängeschilder des südkoreanischen Volleyballs. Auch ihre Werbepartner haben die Zusammenarbeit mit ihnen beendet.
Mobbing sehr verbreitet
Sung Un Gang war früher auch mal Schüler in Südkorea. Heute ist er Kulturwissenschaftler und Dozent für südkoreanische Geschichte an der Uni Bonn. Seit Mitte der 1990er-Jahre ist Mobbing in der Schule in Südkorea als Thema immer sichtbarer geworden, hat er uns erzählt. Damals sei das Wort für Mobbing aus dem Japanischen ins Koreanische übersetzt worden – und damit das Problem überhaupt erst zu einem öffentlichkeitswirksamen Thema geworden.
Laut Statistiken werden bis zu 40 Prozent aller südkoreanischen Schülerinnen und Schüler gemobbt und ausgegrenzt. (Unser Bild oben zeigt eine Demo gegen Mobbing in Seoul.) Vor zwei Jahren hat die Regierung deshalb ein Anti-Mobbing-Gesetz verabschiedet.
"In den letzten 20 Jahren hat es auch Härtefälle gegeben, wo die Betroffenen sich umgebracht haben."
Immer wieder habe es Fälle von Selbstmord gegeben, die mit Mobbing im Zusammenhang standen. Die Öffentlichkeit habe das sehr ernst genommen, so Sung Un Gang. Und endlich habe sich dann auch das Bildungsministerium bewegt: Es gebe inzwischen jährlich zweimal eine große Umfrage zum Thema Mobbing unter allen Schülerinnen und Schülern – und eine Hotline für die Betroffenen. Es habe sich also einiges getan, so Sung Un Gang. Trotzdem bleibe das das Thema noch immer sehr präsent in Südkorea.
Lange Schulzeiten
In Südkorea sind die Kinder und Jugendlichen meistens viel länger am Tag in der Schule als in Deutschland, sagt Sung Un Gang. Die Schulzeit an sich habe in Südkorea eine viel größere Bedeutung. Die Leistungssportlerinnen und -sportler, gegen die jetzt auch die Mobbingvorwürfe erhoben werden, wurden bereits sehr früh an spezialisierten Schulen ausgebildet – und dort zum Teil auch von älteren Schülerinnen und Schülern oder auch von Coachs gedrillt. Dieser Druck werde dann auch innerhalb der Schülerinnen und Schüler weitergegeben, so seine Einschätzung.
"Der Drill von älteren Schülerinnen und Schülern oder Coachs wird oft an Andere weitergegeben."
Schauspieler, K-Pop-Stars oder Sportlerinnen würden in Südkorea oft nicht nur für ihre künstlerischen oder sportlichen Leistungen gelobt oder geliebt. Aus ihnen würden quasi "Vorzeigemenschen" gemacht – mit einem Marketing-Image, das sich gut verkaufen lässt.
Das System formt "Vorzeigemenschen"
Die Menschen sind überhöht und werden verehrt. Bis sich Betroffene an diese produzierten Ikonen heranwagen und den Mut haben, mit Vorwürfen an die Öffentlichkeit zu gehen, bräuchten sie Zeit, glaubt Sung Un Gang. Er vergleicht das mit der Dynamik der #MeToo-Bewegung. Auch diese habe sich erst entwickeln müssen.
"Ich glaube, das ist so ähnlich wie bei der #MeToo-Bewegung. Auch da hat sich eine Dynamik entwickelt und die Betroffenen brauchten Zeit."
Neben den Aussagen anderer Schülerinnen und Schüler, die zusammen mit den Betroffenen und Beschuldigten dieselbe Schule besucht haben, gebe es manchmal – auch von lange zurückliegenden Vorfällen – noch "digitale Spuren": Fotos, Chatverläufe oder sogar Videos. Häufig sei die Beweislage aber recht dünn und die Vorwürfe seien dementsprechend bestreitbar, sagt Sung Un Gang.
Hierarchische Gesellschaftsstruktur
Bei den öffentlich gewordenen Vorwürfen gehe es in der Regel nicht um ein paar vereinzelte "blöde Sprüche", sondern um kollektives Mobbing über Jahre hinweg. In der südkoreanischen Kultur sei es wichtig, das eigene Gesicht zu wahren. Die beschuldigten Promis bekämen aber nicht nur deshalb Probleme, sondern auch, weil Fehlverhalten dort sehr stark mit Machtpositionen – und eben auch Machtmissbrauch – in Verbindung gesehen wird. Das müsse in Zusammenhang mit der hierarchisch aufgebauten Gesellschaftsstruktur und der Militärdiktatur gesehen werden, so Sung Un Gang.
Beim südkoreanische Volleyballverband muss man laut Sung Un Gang jetzt übrigens eine Art eidesstattliche Erklärung unterschreiben, dass man nicht mobbt oder gemobbt hat. Beim Sportministerium gebe es zudem eine Hotline, bei der Vorfälle gemeldet werden können.