BiochemieSpinnen als Arznei-Lieferanten: Vom Tiergift zum Medikament
Spinnen sind fantastische Giftmischer: Im Toxin eines einzelnen Tieres können bis zu 3000 Bestandteile stecken. Und die haben es in sich – aus ihnen ließen sich zum Beispiel Wirkstoffe gegen bedeutende Krankheiten entwickeln. Forschende wie Tim Lüddecke untersuchen die komplexen Gifte mit neuesten Methoden.
In 400 Millionen Jahren Evolution haben Spinnen ihre chemischen Waffen extrem perfektioniert. Ihre Toxine, die eigentlich überwiegend dem Beutezug dienen, könnten uns Menschen helfen. Denn die Wirkweise dieser komplexen Gifte ist so besonders, dass aus ihnen neue Medikamente entwickelt werden könnten – etwa gegen so bedeutende Krankheiten wie chronische Schmerzen, Malaria, Epilepsie oder die Folgen von Schlaganfällen. Auch neue Antibiotika könnten so gefunden werden.
"Spinnen haben sich zu wahren Meisterchemikern entwickelt."
In seinem Vortrag erklärt der Biochemiker Tim Lüddecke, was die Spinnengifte so besonders macht, wie sie wirken und wie sich diese Wirkweise auf Therapeutika für Menschen übertragen lässt.
Er ist nicht nur von klein auf Gifttier- und Spinnenfan, er hat seine Leidenschaft auch zum Beruf gemacht: Tim Lüddecke forscht am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie (IME) an Tier- und insbesondere Spinnengiften. Hier findet ihr ein Video, in dem ihr sehen könnt, wie er eine Spinne "melkt".
Spinnengifte sind unerschlossene Bioressource
Vom Tiergift zum Medikament? In der Vergangenheit hat das schon geklappt: Heute wichtige Arzneien gegen Bluthochdruck und Herzkrankheiten sind aus Schlangengift abgeleitet, erklärt Tim Lüddecke. Damit seien schon viele Millionen Menschenleben gerettet worden.
"Auf der einen Seite können diese Moleküle großen Schaden anrichten - doch gleichzeitig bedeutet das, dass in ihnen ein wirklich großes Potenzial liegt."
Von einigen Molekülen, die in Spinnengiften noch zu entdecken sind, verspricht er sich ebenfalls solche Blockbuster-Arzneien. Von den vermuteten bis zu zehn Millionen Spinnengiftkomponenten der rund 50.000 bekannten Spinnenarten wurde bislang aber nur ein winziger Bruchteil identifiziert, sagt er.
"Wenn uns Spinnen durch Aussterbeereignisse verloren gehen, bevor wir in der Lage sind, ihre Toxine zu untersuchen, dann könnten wir nicht nur die Art als ganze verlieren, sondern auch mögliche Therapeutika."
Das liegt auch daran, dass Spinnen nur Kleinstmengen an Gift liefern. Erst seit wenigen Jahren ist es dank neuester Techniken überhaupt möglich, ihre komplexen Toxine und auch den Giftapparat der Tiere zu analysieren. Wie das gemacht wird, erklärt Tim Lüddecke ebenfalls in seinem Vortrag, in dem er sehr deutlich für den Schutz von Spinnen wirbt.
Tim Lüddecke leitet die Arbeitsgruppe "Animal Venomics" am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie (IME) in Gießen. Für seine Doktorarbeit zum Thema Evolution von Spinnen und Biochemie von Spinnengift hat Tim Lüddecke im Dezember 2021 den Dissertationspreis der Uni Gießen bekommen.
Seinen Vortrag "Heilen statt Vergiften! Wie Spinnengifte der Menschheit nutzen können" hat er am 25. November 2021 online gehalten - im Rahmen einer Seminarreihe der Deutschen Arachnologischen Gesellschaft, deren zweiter Vorsitzender er ist.
Viele weitere spannende Hörsaal-Vorträge findet ihr hier.