MachtverhältnisseWie die AfD-Thüringen ihre Sperrminorität nutzen kann
Die AfD ist in Thüringen bei der Landtagswahl zum ersten Mal stärkste Kraft geworden. Selbst wenn die Partei nicht an die Macht kommt, kann sie auf ein mächtiges Instrument zurückgreifen: die Sperrminorität. Politologin Julia Reuschenbach erklärt.
Die AfD wird in Thüringen mehr als ein Drittel der Sitze im Landesparlament stellen – genau 32 von 88 sind es – und damit im thüringischen Landtag über eine Sperrminorität verfügen. Bestimmte Entscheidungen, die nur mit Zweidrittelmehrheit getroffen werden können, kann die Partei blockieren. In Sachsen hat die Partei diese Sperrminorität um einen Sitz verpasst.
Das geht aus dem vorläufigen amtliche Wahlergebnis der Wahlen in Thüringen und Sachsen hervor. In Thüringen wird die AfD mit 32,8 Prozent die stärkste Fraktion im neuen Landtag.
Die Partei, deren Landesverband unter Björn Höcke – unser Bild – vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft ist, wird in der kommenden Legislaturperiode mehr Einfluss auf politische Entscheidungen in Thüringen haben, auch wenn sie nicht Teil der Landesregierung wird.
"Die AfD hat mit der Sperrminorität ein Machtinstrument, das sich auf besonders weitreichende Themen bezieht."
Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach erklärt, dass es eine Zweidrittelmehrheit im Parlament zwar nicht täglich braucht. Für gewichtige Beschlüsse können diese Mehrheitsverhältnisse aber bedeutend sein.
AfD mit Blockadeoption
Beispielsweise kann die AfD die Besetzung von Verfassungsrichter*innen in Thüringen blockieren. Alle neun der derzeitigen Richter*innen werden spätestens 2029 aus dem Amt scheiden. Dementsprechend müssen in den nächsten fünf Jahren Nachfolger*innen gefunden werden.
Das und Weiteres in der Landesjustiz könnte die AfD blockieren – den Richterwahlausschuss zum Beispiel. Julia Reuschenbach sagt: "Das sind diejenigen innerhalb des Parlaments, die dafür Sorge tragen, dass neue Richter*innen auch an anderen Thüringer Gerichten auf Lebenszeit ernannt werden."
Das würde die Arbeitsfähigkeit der Justiz beeinträchtigen, erläutert die Politologin. Sie verweist auf die Praxis anderer rechtspopulistischer Parteien in Europa wie in Polen oder Ungarn.
"Die Arbeitsfähigkeit der Justiz wird beeinträchtigt. Und natürlich nimmt auch das Ansehen Schaden, wenn Richter*innen nur geschäftsführend im Amt sind – obwohl sie eigentlich schon im Ruhestand sind."
Durch die Sperrminorität erhält die AfD die Macht, die anderen Parteien – die nicht mit der AfD zusammenarbeiten wollen – herauszufordern.
Anschein der Normalisierung
Die AfD könne damit im Grunde genommen sagen, "wenn ihr jetzt nicht Leute vorschlagt, die auch uns in den Kram passen, und euch nicht auf Deals mit uns einlasst, dann blockieren wir euch einfach", erklärt die Politikwissenschaftlerin.
Aus diesem Vorgehen folge, dass der Anschein einer Normalisierung in der Zusammenarbeit mit der AfD entstehe.
"Die AfD wird sagen, wenn ihr in dieser Sache mit uns zusammenarbeiten könnt, warum denn nicht auch bei anderen Fragen?"
Eine Möglichkeit die Mehrheitsverhältnisse zu umgehen, gibt es nicht. Die Politikwissenschaftlerin weist darauf hin, dass Thüringen bereits in der vergangenen Legislatur mit Rot-Rot-Grün fünf Jahre lang eine Minderheitsregierung gab.
In dieser Zeit gewann die AfD bereits an Zuspruch. Die Politik habe es aber versäumt, entscheidende Änderungen an der thüringischen Landesverfassung vorzunehmen. Weil jetzt die AfD die Sperrminorität hat, mit der sie Verfassungsänderungen blockieren kann, werde eine neue Regierung an diesen verfassungsrechtlichen Regelungen nichts mehr ändern können, erklärt Politikwissenschaftlerin.