Demokratie und VereinzelungSoziologin: "Einsamkeit ist kein binäres System"
Chronische Einsamkeit kann auch zu einem Vertrauensverlust in demokratische Institutionen führen, sagt die Soziologin Claudia Neu. Zwar lässt sich dieser Zustand nicht einfach abschalten, einige Gegenmittel gibt es aber doch.
Ein Drittel der Menschen im Alter zwischen 18 und 53 Jahren fühlt sich bei uns in Deutschland zumindest zeitweise einsam. Zischen dieser Beobachtung und der Demokratie besteht für Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90 / Die Grünen) ein Zusammenhang.
Sie findet, dass Einsamkeit unsere Demokratie bedroht. Wer das Vertrauen in die Gesellschaft verliert, verliere auch das Vertrauen in die Demokratie. Der Wunsch nach politischer Teilhabe und die Bereitschaft wählen zu gehen, nehme ab.
"Einsamkeit ist kein binäres System. Sie schalten nicht ein, machen an oder schalten aus. Das entsteht über eine längere Zeit."
Einsamkeit kann – über einen größeren Zeitraum hinweg – zu einem Vertrauensverlust der Betroffenen gegenüber anderen Menschen und Institutionen führen, sagt Claudia Neu. Sie lehrt Soziologie an der Universität Göttingen. Dabei ist ihre Ausgangsdefinition harmlos: "Einsamkeit ist das Gefühl, subjektiv zu wenig Kontakt zu haben."
"Es ist nicht einfach, Menschen aus der Einsamkeit herauszuholen. Die Brücke wird sehr groß, auf andere Menschen zuzugehen."
In einer schwachen, sozusagen normalen Form, erinnere uns Einsamkeit eigentlich nur daran, dass wir Teil einer Gemeinschaft sind. Durch einen Anruf, eine Verabredung oder Ähnliches, lässt sich dieses Gefühl aus dem Weg räumen.
Strukturelle Faktoren
Das wird jedoch schwieriger, wenn sich die Emotion verfestigt hat. Zu diesem Zustand können auch strukturelle Elemente gehören wie beispielsweise lang anhaltende Arbeitslosigkeit und Armut.
"Wenn Sie den Kontakt zur Gesellschaft verlieren, verändert ich der Blick auf die Welt. Er verdüstert sich, er wird dunkler."
Grundsätzlich unterscheidet die Soziologin drei Arten von Einsamkeit:
- soziale Einsamkeit
Dazu passt die Selbstbeobachtung: Mir fehlt ein größerer Freundeskreis oder der ist nicht so groß, wie ich mir das wünsche. - intime Einsamkeit
Dazu passt die Selbstbeobachtung: Mir fehlt eine Partnerin, ein Partner oder sehr enge Freundschaft. - kollektive Einsamkeit
Dazu passt die Selbstbeobachtung: Ich habe die Verbindung zur Gesellschaft, zu einer Gemeinschaft verloren.
Auch räumliche Strukturen können dazu beitragen, dass Menschen eher Einsamkeit empfinden. Haben sie die Möglichkeit zu zwanglosen Begegnungen in der Freizeit in Parks und vergleichbaren öffentlichen Räumen, kann das dem Einsamkeitsgefühl entgegenwirken.
Datenmangel
Insgesamt aber sei die Datenlage etwas dünn. Um genauer zu wissen, welche Formen der Prävention wirken müssten die bereits ergriffenen Maßnahmen noch wissenschaftlich evaluiert werden, sagt Claudia Neu.
Die Zahlen, auf die sich Bundesfamilienministerin Lisa Paus und auch die Soziologin Claudia Neu beziehen, gehen auf eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung zurück. Im März 2024 sind dafür 2.500 junge Menschen befragt worden und inzwischen hat die Stiftung die Zahlen veröffentlicht. Demnach fühlt sich fast die Hälfte aller 16- bis 30-Jährigen in Deutschland einsam. Gut zehn Prozent der Gruppe haben demnach angegeben, sich stark einsam zu fühlen.
In einem weiteren Gespräch vom 17.06.2024 haben wir mit Peter Neuhaus aus der Deutschlandfunk-Nova-Nachrichtenredaktion diese Befragung vorgestellt und die Zahlen eingeordnet. Das Gespräch könnt ihr euch anhören. Klickt unten auf Play.
"Knapp die Hälfte der 16- bis 30-Jährigen in der Befragung fühlt sich einsam, mehr als jeder oder jede Zehnte sogar stark einsam."
Korrekturhinweis: In einer älteren Fassung des Audios ist der Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90 / Die Grünen) versehentlich ein anderes Ministerium zugeordnet worden.