SoziologieWarum es immer noch ein 'Ost' und 'West' gibt
Die deutsche Wiedervereinigung ist mehr als 30 Jahre her. Dennoch sind 'Ost' und 'West' nicht verschwunden. Immer noch gibt es Unterschiede - in der Wirtschaft, im Sozialen und im Politischen. Woran das liegt, erklärt der Soziologe Steffen Mau in seinem Vortrag.
Die DDR endete, weil es eine friedliche Revolution gab. Die Menschen waren auf die Straße gegangen und hatten protestiert. Dass es keine gewaltsame Niederschlagung dieser Proteste gab, hat damals manchen verwundert. Das demokratische Potenzial dieses friedlichen Umbruchs war enorm. Doch es sei viel zu wenig genutzt worden, sagt der Soziologe Steffen Mau.
"Die Wiedervereinigung steht aus meiner Sicht für die Übernutzung des nationalen Potenzials politischer Mobilisierung und für eine Unternutzung des demokratischen Potenzials, das aus der friedlichen Revolution im Herbst 1989 hervorging."
Stattdessen wurden die nationalen Aspekte der Wiedervereinigung betont. Aus "Wir sind das Volk" wurde "Wir sind ein Volk". Die Wiedervereinigung war dann kein Zusammenschluss auf Augenhöhe. Vielmehr traten die ostdeutschen Länder der Bundesrepublik bei. Anschließend übernahmen meist männliche Westdeutsche die Spitzenpositionen in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft, von der Wirtschaft über die Justiz bis hin zur Politik. Das alles wirkt bis heute nach, sagt Mau.
"In fast allen Bereichen, im Justizsektor, in der Wissenschaft, im Militär, in der Wirtschaft, in den Medien, in der öffentlichen Verwaltungen, überall sieht man, dass der Anteil von Ostdeutschen an diesen Spitzenpositionen sehr, sehr gering ist."
Steffen Mau ist Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist Mitglied der Academia Europaea und hat 2021 den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft erhalten. Mau wuchs im Rostocker Neubauviertel "Lütten Klein" auf. Darüber hat er ein Buch veröffentlicht, in dem er auf die Zeit damals zurückblickt und die Entwicklung seitdem beschreibt.
"Wir sehen heute, dass es kein Aufschließen der ostdeutschen Eliten oder eine Übernahme der Elitenpositionen nach einer bestimmten Karenzzeit gibt, sondern dass sich eigentlich diese Elitendisparität zwischen Ost und West fortgesetzt hat ."
Der Vortrag von Steffen Mau hat den Titel "Ost und West Heute. Spannungen und Brüche im Prozess der Deutschen Einheit". Er hat ihn am 6. April 2022 an der Universität Konstanz gehalten im Rahmen der "In_equality Conference 2022". Ausgerichtet hat die Konferenz das Exzellenzcluster "The Politics of Inequality" der Universität Konstanz.