Sozialpsychologin"Die 'Letzte Generation' treffen die Razzien extrem hart"
Polizei und Staatsanwaltschaft haben Wohnungen und Büros der Aktivistengruppe "Letzte Generation" durchsucht. Vorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung. Wie schwer das die Gruppe trifft, erklärt die Sozialpsychologin Maria-Christina Nimmerfroh.
"Der Tatvorwurf ist im Wesentlichen die Mitgliedschaft beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Auslöser dabei ist eine Spendenkampagne, die die Beschuldigten für die 'Letzte Generation' organisiert und dadurch insgesamt mehr als 1,4 Millionen Euro eingesammelt haben."
Ob die "Letzte Generation" tatsächlich eine kriminelle Vereinigung ist, steht nicht fest. Doch der Verdacht besteht – das alleine rechtfertigt nach deutschem Recht die Razzien.
Die Sozialpsychologin Maria-Christina Nimmerfroh forscht zur "Letzten Generation" an der Hochschule Bonn-Rhein Sieg. Zu Beginn war sie in der Gruppe undercover, also unter falschem Namen, unterwegs. Inzwischen recherchiert sie unter ihrem echten Namen und wird auch von der "Letzten Generation" eingeladen und informiert.
Schwerpunkt soll Bayern werden
Nimmerfroh vermutet, dass der Zeitpunkt der Razzien mit der Verkündung einer neuen Strategie der "Letzten Generation" zusammenhängt: Vor wenigen Tagen hatten die Klimaaktivist*innen angekündigt, sich nach ihrer Sommerpause, die Anfang August enden soll, auf Bayern zu konzentrieren. Nach den großen Aktivitäten in Berlin sollen die Mobilisierungsbemühungen also verlagert werden.
Das Ganze stehe im Zusammenhang mit dem bayerischen Landtagswahlkampf. Junge Menschen sollen in Bayern motiviert und dazu ausgebildet werden, "in den Konflikt mit dem Staat zu gehen und sich im Ergebnis inhaftieren zu lassen für die Ziele der Organisation", so die Sozialpsychologin. Mindestens 100 Personen sollen davon überzeugt werden.
"Die 'Letzte Generation' hat zwar sehr viel Resonanz in der Öffentlichkeit, ihr schließen sich aber weniger Menschen an, als eigentlich geplant waren."
In den Medien und der Öffentlichkeit seien die Klimaaktivist*innen zwar sehr präsent, doch sie hätten Nachwuchsprobleme und müssten immer weiter mobilisieren und Menschen rekrutieren.
Auf die bisherigen Verfahren war die Gruppe vorbereitet
Die staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren wegen der Straßenblockaden oder eventuelle Schadensersatzansprüche hätten die Gruppe wenig bis nicht getroffen, sagt Maria-Christina Nimmerfroh. Darauf seien sie vorbereitet gewesen, auch finanziell. Die Aktivist*innen seien geschult darin, in Prozessen und bei Gefängnisaufenthalten gut mit sich und mit anderen umzugehen. Das sei nichts, was die Gruppe schockt.
"Die aktuellen Durchsuchungen treffen die Gruppe extrem hart. Sie verringern die Zustimmung und die Spendenbereitschaft der Menschen."
Bei den aktuellen Razzien sehe die Situation dagegen anders aus, so die Sozialpsychologin. Denn vor drei Dingen habe die Gruppe "wirklich Angst, wenn man das so sagen darf":
- Die Durchsuchungen: Es greift Menschen persönlich extrem an, wenn es mitten in der Nacht klingelt und eine große Gruppe Polizist*innen vor der Tür steht.
- Die Sperrung der Konten: Die Gruppe ist sehr stark darauf angewiesen, dass die Aktivist*innen auch ihr Geld erhalten. Das ist ein großer Unterschied zu anderen Vereinen, die viel ehrenamtlich machen.
- Das Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung: Allein dieser Vorwurf schränkt die Gruppierung extrem ein, sagt Maria-Christina Nimmerfroh. Denn er verringert die Zustimmung und die Spendenbereitschaft.
"Die Deutschen haben ja schon so einen Hang dazu: Man will kein Teil von so einem großen Ermittlungsverfahren sein."
Der größte Teil der 1,4 Millionen Euro, die die "Letzte Generation" an Spendengeldern eingesammelt hat, kommt laut Maria-Christina Nimmerfrohs Analysen aus den USA – vom "Climate Emergency Fund", der auch die ideologische Grundlage der Gruppe bildet.
Geld kommt vor allem aus den USA
Blockadeaktionen, Kampagnen, Wording sowie auch der Umgang mit den Medien seien keine Erfindung der "Letzten Generation", sondern im Kampagnenhandbuch des weltweiten Netzwerkes festgeschrieben. Wenig von dem, was wir sehen, sei also tatsächlich in Deutschland selbst entwickelt und konzipiert worden.
Und auch das Geld komme eben zum überwiegenden Teil aus dem Ausland. Das Geld braucht die Gruppe für ihre vielfältigen Aktivitäten:
- Personalkosten: Maria-Christina Nimmerfroh schätzt sie auf über 100.000 Euro im Monat
- Mietkosten für Wohnungen und Hostels
- Fahrtkosten für den Transport der Aktivist*innen
- Materialkosten