Soziale UnsicherheitWenn wir bei anderen gut ankommen wollen
Wie komme ich gerade im Gespräch rüber – cool oder peinlich?! Manchmal schießen uns solche Gedanken über unsere sozialen Fähigkeiten in den Kopf – und wir sind verunsichert. Sebastian kennt diese Momente. Psychologin Anna Otto erklärt, was wir in solchen Situationen tun können.
Einige fühlen sich unwohl, wenn sie im Seminar vor einer großen Gruppe sprechen sollen. Andere sind zwar im Job total selbstbewusst – wenn sie auf einer Party neue Leute kennenlernen, aber erstmal zurückhaltend und unsicher.
Sebastian ist Führungskraft und gibt viele Workshops. Sein Job ist es, Leuten zu sagen, wie sie gewisse Dinge tun sollten oder könnten, damit es im Job besser läuft. Das finden die angesprochenen Personen natürlich nicht immer gut. Und das kann dann auch wieder heißen: Sie finden vielleicht Sebastian (ein bisschen) doof. Und das wiederum bereitet Sebastian Probleme. Denn er möchte natürlich – wie die allermeisten von uns – gemocht werden. Eine Herausforderung für ihn.
Die eigene Komfortzone verlassen
Sebastian erinnert sich an eine Workshop-Situation, die ihn verunsichert hat: "Ich hatte mal eine Situation, wo mir doch etwas reingegrätscht wurde, weil etwas nicht schnell genug ging, obwohl das aber eben nun mal nötig war. Und das hat mich doch sehr irritiert und auch sehr, sehr verunsichert."
"Dann kickt so ein bisschen dieses: Oh nein, ich möchte natürlich, dass ich als kompetent und positiv wahrgenommen werde."
Sebastian sagt, dass er sich inzwischen vorgenommen hat, Dinge besser auszuhalten. In der Workshopsituation, in der er kritisiert wurde, hat er die Sache beispielsweise offen angesprochen: "Also wenn ich inhaltlich kritisiert werde, sehr gerne. Aber, dass mir von der Seite sozusagen ein bisschen reingeredet wird, dass man das vielleicht auf eine andere Art und Weise lösen kann."
Er hat aber auch gemerkt, dass er in der Situation unruhig geworden ist. Hilfreich war seine gute Vorbereitung auf den Workshop: "Hätte ich die nicht gehabt, wäre ich da wahrscheinlich sehr ins Schwimmen gekommen. Aber ich konnte mich da ganz gut mit meiner Struktur – und auch so ein bisschen vielleicht mit Dinge weglächeln – retten."
Seit Sebastian Führungskraft ist und mit noch mehr Menschen Kontakt hat, fühlt er sich öfter dazu gezwungen, seine Komfortzone zu verlassen. Er beschäftigt sich inzwischen mehr mit dem Thema und versucht, einen entspannteren Umgang damit zu finden.
"Ich glaube, das habe ich schon immer so ein bisschen: Irgendwie so ein bisschen versuchen, es allen recht zu machen."
Sebastian hat schon immer das Gefühl, dass er es gerne allen recht machen möchte. People Pleasing heißt das.
Er sagt aber auch, dass es ihm wichtig ist, gut anzukommen. Sebastian erinnert sich an eine Situation mit einer Freundin, die ihm ehrlich gesagt hat, dass sie ihn anfangs nicht so sympathisch fand. Sebastian hat dann nachgehakt und fand das Gespräch sehr augenöffnend: "Anscheinend neige ich dazu, wenn ich unsicher bin, viel zu labern oder vielleicht mich auch in einem etwas besseren Licht darzustellen. Das kann auch arrogant rüberkommen und das hat sie mir so gesagt."
Er nimmt solches Feedback an und versucht, an sich zu arbeiten, sagt Sebastian: "Dass ich nicht immer so den Raum einnehmen muss und dass auch andere den Raum brauchen."
Studie: 40 Prozent der Deutschen schüchtern oder sozial unsicher
Etwa 40 Prozent der Menschen in Deutschland bezeichnen sich als schüchtern oder gelegentlich sozial unsicher, schreibt die Psychologin Anne Otto in ihrem Buch "Kraft der Unsicherheit": "Das ist so eine Zahl, die man immer mal wieder in unterschiedlichen Studien liest. Und ich habe sie aus einer Studie, in der weltweite Zahlen verglichen wurden: Dass es in Asien noch ein bisschen mehr ist und dass es in Südamerika und auf der Südhalbkugel ein bisschen anders aussieht. Die Leute dort sind offenbar etwas weniger schüchtern oder unsicher. In Nordamerika ist es ähnlich wie bei uns."
Woher kommt (soziale) Unsicherheit?
Die Psychologin erklärt, dass man bei Zurückhaltung und Schüchternheit von einer Temperamentseigenschaft spricht, die schon im Kleinkindalter zu beobachten ist und oft beibehalten wird: "Wie sich das dann ausprägt, hat natürlich mit Familie zu tun, mit Lernerfahrung. Wer sehr oft kritisiert wird oder einem sehr bewertenden Umfeld ausgesetzt wird oder aber Eltern hat, die selber unsicher sind, der wird wahrscheinlich auch eher mit Unsicherheit reagieren." Auch Erfahrungen aus der Schulzeit können zu sozialen Ängsten führen, sagt die Psychologin.
"Auch Mobbing-Erfahrungen und solche Sachen in der Schule spielen eine Rolle bei sehr vielen Leuten, die sich als sozial unsicher bezeichnen."
Die Psychologin bezeichnet es aber auch als normal, wenn jemand vor fremden Leuten erst mal Hemmungen hat: "Bin ich sicher oder nicht, ist ja erst mal keine schlechte Reaktion. Die Frage ist eher, wie kann man sich da rüber helfen?" Anna Otto sagt, dass es da ein paar Tricks gibt, etwa in Smalltalk-Situationen: "Dann kann man sich zum Beispiel überlegen: Gehe ich eher auf was, was zu meinem Temperament passt? Zum Beispiel frag ich die anderen so auf einer Party: Woher kennst du die Gastgeberin oder den Gastgeber? Da kommen die anderen ins Plaudern und man selbst kann sich einbringen, aber man muss keine peinlichen Fragen über das Wetter stellen oder so."
Versteckte Stärken bei unsicheren Menschen
Fachleute forschen schon länger dazu, dass es auch Stärken gibt, die in der Unsicherheit versteckt sind, erklärt Anna Otto: "Zum Beispiel eine große Empathiefähigkeit, einen Sinn für soziale Dynamiken oder auch so eine Zuverlässigkeit, dass man gut Verbindungen schaffen kann. Natürlich sind solche Sachen erst einmal wahrscheinlich aus der Not heraus entstanden, aber es sind natürlich ganz wertvolle Fähigkeiten."
Anna Otto sagt, Unsicherheit sollte als etwas ganz Menschliches angesehen werden. Sie findet es auch hilfreich, wenn Leute ganz offen über ihre Unsicherheit sprechen und ehrlich sagen, dass sie sich in einer bestimmten Situation gerade unwohl fühlen. Auch Menschen, die die Psychologin zu dem Thema interviewt hat, hätten oft gesagt: "Das war eigentlich der Eisbrecher, über die eigene Unsicherheit einen kurzen Witz zu machen."