Vor den KoalitionsverhandlungenSondierungsergebnis: Deutliche Handschrift der FDP
Ergebnisse der Sondierungsgespräche zwischen SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen liegen nun vor, jetzt geht es in die Koalitionsverhandlungen. Für die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach hat die FDP am meisten ihre Ideen durchsetzen können.
Wichtige Eckpunkte des Sondierungsergebnisses zwischen SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen: Anhebung des Mindestlohns, kein Tempolimit, keine Steuererhöhung und ein schnellerer Kohleausstieg. Gibt es eine Partei, die bei diesen Gesprächen sich nicht durchsetzen konnte? Die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach sieht in den vorgestellten Eckpunkten, dass alle drei Parteien ihre Aspekte unterbringen konnten.
"Alle drei Parteien haben es geschafft, wichtige Aspekte unterzubringen."
Die Prämisse bei diesen Bündnisgesprächen sei immer gewesen: Jeder muss Gewinner sein können. Das zeige sich jetzt an den Ergebnissen: Die SPD hat ihre Forderung nach Anhebung des Mindestlohns, die Grünen den Ausbau von Solar- und Windenergie und die FDP die Absage an Steuererhöhungen festschreiben können.
FDP mit besserer Verhandlungsposition
Bei der Frage, wer von den drei Parteien am meisten gewonnen hat, ist das aus Sicht von Julia Reuschenbach die FDP.
"Wenn man fragt: Wer hat am meisten gewonnen? Dann ist das meines Erachtens die FDP."
Dass die FDP sich bei den Gesprächen stärker durchsetzen konnte, sei erwartbar gewesen. Denn für die Liberalen sei auch das Jamaika-Bündnis mit CDU und Grünen attraktiv. Deshalb hätte die Partei die "fundamentalsten, großen Aspekte umsetzen können – insbesondere im Bereich Steuern und Finanzen. Da sieht man am deutlichsten die Handschrift der FDP", sagt Julia Reuschenbach.
Dagegen sind SPD und Grüne aus ihren Wahlprogrammen heraus im Finanz- und Steuerbereich mit eher gegensätzlichen Forderungen zur FDP in die Sondierungsgespräche gegangen.
Kritik der Jugendorganisationen von SPD und Grünen
Genau dazu kommt Kritik von den Jusos. Deren Vorsitzende, Jessica Rosenthal, kritisiert, dass in der Steuerpolitik keine Umverteilungsaspekte vorkommen, weil beispielsweise die Vermögenssteuer, die im SPD-Wahlprogramm steht, wegverhandelt wurde.
"Die Kritik der Jusos ist durchaus berechtigt."
Die Politikwissenschaftlerin mahnt, das Sondierungspapier sei noch nicht alles, was zu verhandeln war, denn die Koalitionsverhandlungen werden erst noch stattfinden. Die Facharbeitsgruppen werden die einzelnen Politikfelder in den kommenden Wochen bis ins Detail durcharbeiten. Daraus leiten sich dann die Regierungsziele für einen Koalitionsvertrag ab, erklärt die Julia Reuschenbach.
Gefahr für Politikziele von SPD und Grünen
Dennoch stellt sich angesichts der Wahlprogramme bei SPD und Grünen die Frage, wie sie ihre Ideen zu einer Umverteilung und Finanzierung von Digitalisierung, Bildung und Klimaschutzmaßnahmen im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation noch umsetzen können, wenn wesentliche Elemente wie die Vermögenssteuer nicht vorkommen.
"Die Wahlprogramme von SPD und Grüne bauen auf diesem fundamentalen finanz- und steuerpolitischen Umbruch auf: Wir wollen Reiche stärker besteuern, den Spitzensteuersatz anheben, Vermögenssteuer einführen. Damit soll finanziert werden, was uns wichtig ist: Bildung, Digitalisierung, Investitionen in Klimaschutz."
Wenn die SPD und die Grünen aber bereits in einer so frühen Phase der Sondierungen bereit sind, steuer- und finanzpolitischen Ideen eine Absage zu erteilen und sich stattdessen auf Ideen der FDP einlassen, dann könnte das die Umsetzung der anderen Politikziele gefährden, sagt die Politikwissenschaftlerin. Allein die Anhebung des Mindestlohns durchzusetzen, wäre zu wenig für die SPD. Sie müsse schon versuchen, ihre sozialdemokratische Handschrift und Aspekte aus dem Wahlprogramm, stärker umsetzen, sagt Julia Reuschenbach.
Parteibasis muss zustimmen
Geplant ist bei der SPD und den Grünen, dass der Koalitionsvertrag von der Basis, etwa bei einem Parteitag, mitbeschlossen wird. Dann werden die beiden Jugendorganisationen eine wichtige Rolle spielen, die auf die Umsetzung der Politikziele aus den Wahlprogrammen besonders achten, so die Poitikwissenschaftlerin.
Das Sondierungspapier ist aus Sicht von Julia Reuschenbach nicht der große Wurf, aber ein guter Anfang. Zum ersten Mal haben SPD, FDP und Grüne ein solches Bündnis geschlossen. Die Koalitionsverhandlungen und auch die Regierungszeit müssten zeigen, ob dieser "Spirit", der jetzt bei den drei Parteien entstanden sei, als Klammer für die doch recht unterschiedlichen Politikideen funktionieren wird.