DiskriminierungSinti und Roma: Beleidigungen und Übergriffe gehören zum Alltag

Übergriffe, Beleidigungen, Gewalt – seit zwei Jahren werden Vorfälle gegen Sinti und Roma zentral erfasst. Bei einer Tagung in Berlin wird Bilanz gezogen. Wir wollen wissen: Wie geht es Roma und Sinti in Deutschland? Wie erleben sie Diskriminierung?

"Antiziganismus erfahre ich zum Beispiel in der Universität", sagt Jasar Dzemailovski. Er ist 31, macht gerade seinen Master in Politikwissenschaften in Münster und ist Vorstandsmitglied beim internationalen Sport- und Kulturverein Carmen e.V.

"Als ich einem Kommilitonen gesagt habe, dass ich Roma bin, hat er mich verwundert angeschaut und gefragt, seit wann Roma studieren und wieso ich keine Goldkette trage und keine Gucci-Schuhe anhabe."
Jasar Dzemailovski, Roma-Aktivist

Aber auch die Aussage "Ist doch nicht schlimm, dass du ein Rom bist" ist für Jasar Antiziganismus, weil die Person damit indirekt sagt, dass es etwas Schlimmes sei, Rom zu sein. Und Jasar sei dann nur die Ausnahme, die den Vorurteilen nicht entspricht.

Warum Sinti und Roma ihre Identität leugnen

Schon als Kind hätten ihm seine Großeltern gesagt, er solle in der Schule besser nicht erwähnen, dass er Rom sei, aus Angst, er könnte benachteiligt oder gehänselt werden. Von seinem Vater aber, der selbst Roma-Aktivist ist, habe er gelernt, dass er sich wegen seiner Identität nicht schämen muss.

Heute ist Jasar selbst aktiv, weil es immer noch starre, verallgemeinernde und schlicht falsche Vorstellungen und Vorurteile gegenüber Roma und Sinti gibt. Und weil es Roma und Sinti gibt, die ihre Kultur verstecken aus Angst vor Benachteiligung. Deshalb sei es sehr wichtig, diese Menschen in ihrer Selbstermächtigung zu stärken und darin zu unterstützen, zu ihrer Kultur zu stehen.

Antiziganismus-Fälle steigen

Über 1.200 Fälle von Antiziganismus wurden letztes Jahr in Deutschland gemeldet. Das sind fast doppelt so viele wie im Jahr davor. Die Fälle werden erst seit 2022 bei der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus erfasst, die damals von der Ampelregierung eingerichtet wurde.

"Es kann physische Gewalt sein, Beleidigungen, Diskriminierungen, Beschimpfungen auf der Straße, aber auch Schändungen von Denkmälern, Mahnmalen, manchmal auch antiziganistische Gesänge auf der Straße."
Guillermo Ruiz Torres, Bundesgeschäftsführer der Meldestelle Antiziganismus

Meist sind die Fälle direkte Handlungen gegen Personen, sagt Guillermo Ruiz Torres. Er ist Bundesgeschäftsführer der Meldestelle Antiziganismus, die den jährlichen Bericht über antiziganistische Übergriffe verfasst. Viele Fälle ereignen sich in Schulen, wo Roma-Kinder von Mitschüler*innen oder Lehrkräften gemobbt werden, sagt Guillermo Ruiz Torres.

Behörden gehen nicht konsequent gegen Antiziganismus vor

Bei ihm landen zwar die Meldungen, die Behörden würden aber meist keine entsprechenden Maßnahmen gegen die Täter*innen ergreifen. Dann schaltet sich seine Stelle ein und fordert die Behörden auf zu handeln. Unter anderem geht es auch um gewalttätige Übergriffe von Rechtsextremen oder Racial Profiling bei der Polizei.

Er kritisiert auch das Bild von Sinti und Roma in der Öffentlichkeit oder in den Medien, das häufig von Stigmatisierungen wie arbeitsscheu, bildungsfremd oder kriminell geprägt ist, kritisiert Guillermo Ruiz Torres. So werde Hass gegen Sinti und Roma geschürt.

"Antiziganismus findet auch im Internet statt. Es ist wirklich erschreckend, was da kursiert."
Guillermo Ruiz Torres, Bundesgeschäftsführer der Meldestelle Antiziganismus

Zwar gibt es jetzt die offizielle Statistik der Fälle von der Meldestelle, doch dessen Leiter Guillermo Ruiz Torres geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Denn viele Minderheitsangehörige, auch wenn sie Deutsche sind, haben Angst vor den Behörden, sagt er.

Dahinter stecke eine Angst vor den Verfahren oder Begriffen wie Erfassen und Melden, die Betroffene mit dem Nationalsozialismus verbinden. Und: Viele verschweigen einfach ihre Identität, weil sie Angst vor Diskriminierung haben, sagt Guillermo Ruiz Torres.

Sinti und Roma - seit Jahrhunderten Teil der deutschen Gesellschaft

Zwar habe die Politik gehandelt, die Meldestelle eingerichtet und einen Bundesbeauftragten für Antiziganismus ernannt, auch die Länder hätten entsprechende Stellen eingerichtet, aber all das sei noch nicht genug, meint Guillermo Ruiz Torres. "Es fehlt ein noch stärkerer politischer Wille, damit Antiziganismus in allen gesellschaftlichen Bereichen bekämpft wird", sagt der Bundesgeschäftsführer der Meldestelle Antiziganismus.

Jasar wünscht sich, dass Sinti und Roma als gleichwertige Mitglieder der deutschen Gesellschaft gesehen werden. Und dass all das, all die Vorurteile und Stigmatisierungen, die es während der NS-Zeit gegeben hat, endlich aufgebrochen werden. Schließlich gebe es Sinti und Roma schon seit 600 Jahren in Deutschland.