SprechenHohe Stimmen stehen für Schutzbedürftigkeit, tiefe für Sicherheit
Stimmen erzielen eine bestimmte Wirkung. Die Stimmhöhe lässt sich deshalb gezielt einsetzen. Es besteht sogar ein Zusammenhang zwischen der Emanzipation und der Veränderung der weiblichen Stimme.
Eine der beliebtesten Netflix-Serien zurzeit ist die Dating-Show "Love is blind". Zurzeit wird nochmal extra viel über sie gesprochen, weil die Show-Teilnehmerin Jessica in manchen Situationen ihre Stimme extrem verändert (zu hören im Audio zu diesem Text). Sie spricht dann viel höher und klingt kindlich. Die Art, wie sie spricht, wird im Englischen auch als "Sexy Baby Voice" bezeichnet.
Hohe Stimmen erinnern an Kinderstimmen
Das Phänomen wurde 2013 das erste Mal in US-Medien erwähnt. Seitdem tauchen immer wieder Beispiele dafür auf. Und tatsächlich könnte es eine Erklärung dafür geben, warum vor allem Frauen ihre Stimme in manchen Situationen stark verändern.
Michael Fuchs, Facharzt für Stimm-, Sprach- und kindliche Hörstörungen und Professor an der Uniklinik Leipzig, vermutet: Wird die Stimme in eine höhere Lage verändert, ähnelt sie einer Kinderstimme. Beim angesprochene Mann könnte so der Eindruck der Schutzbedürftigkeit, Empfindlichkeit und Ängstlichkeit entstehen. Und weil die Frau schutzbedürftig ist oder so tut, als wäre sie es, fällt es ihm schwerer, sie abzuweisen.
"Wir schenken tieferen Stimmen grundsätzlich mehr Vertrauen als höheren."
Die Stimme zu verändern, um eine Wirkung zu erzielen, geschieht laut Michael Fuchs sowohl bewusst als auch unbewusst.
In der Regel verändern Menschen ihre Stimme unbewusst. Schon Kinder lernen, wie die Stimme klingen muss, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Michael Fuchs: "Ein Kind lernt nicht nur Vokabeln. Es lernt auch, wie es klingen muss, um freundlich um etwas zu bitten oder wütend etwas einzufordern." Das könnten Menschen als emotionalen Ausdruck in der Stimme automatisch abrufen.
Stimmveränderungen lassen sich gezielt einsetzen
Menschen können ihre Stimme aber auch bewusst beeinflussen. Die Vermutung liegt nahe, dass zum Beispiel speziell manche Politikerinnen ihre Stimme dahingehend trainieren, dass sie tiefer klingt – nachgesagt wird das etwa Margaret Thatcher. Die Motivation: "Wir schenken tieferen Stimmen grundsätzlich mehr Vertrauen als höheren", sagt Michael Fuchs. Tiefe Stimmen signalisieren Sicherheit.
"Die veränderte Stimme ist ein Ausdruck dafür, dass sich die gesellschaftliche Rolle der Frau verändert hat."
Ob gezieltes Training oder beiläufige und unbewusste Veränderung der Stimme: Generell lässt sich beobachten, dass die Stimmen in Deutschland tiefer werden, und zwar vor allem die der Frauen. In einer Studie mit 2500 Frauen und Männern analysierten Michael Fuchs und seine Kollegen die Stimmlagen. Ihre Erkenntnis: Die weibliche Stimme ist im Schnitt deutlich tiefer als noch vor 30 Jahren.
Emanzipation und Stimmhöhe von Frauen hängt zusammen
Was Ursache und was Wirkung ist, ist schwierig zu sagen. Aber ein Zusammenhang scheint eindeutig: der zwischen Stimmlage und Emanzipation. "Die veränderte Stimme ist ein Ausdruck dafür, dass sich die gesellschaftliche Rolle der Frau verändert hat", sagt Michael Fuchs.
So gesehen zeigt die Reaktion des Mannes auf die Sexy Baby Voice in der Datingshow "Love is Blind" auch, um welchen Typ Mann es sich handelt: ob er eher auf emanzipierte Frauen oder doch eher auf unterwürfige steht.