SelbstwertWas Ghosting mit uns macht
Beim Dating und Kennenlernen gehört Ghosting inzwischen dazu. Betroffene verunsichert das zum Teil sehr. Alea konfrontiert die Menschen, die sie geghostet haben. Wie wir mit solchen Erfahrungen besser umgehen können, weiß der Psychologe Alexander Tiesenhausen.
Und plötzlich ist Funkstille, wie aus dem Nichts: Bis zu zwanzigmal wurde Alea in ihrem Dating-Leben schon geghostet, sagt sie. Stets sei das ein Schlag gegen den Kopf gewesen. Ghosting definiert Alea als einen plötzlichen, einseitigen Kontaktabbruch ohne Vorwarnung außerhalb einer Dating-App. Zu einem persönlichen Treffen müsse es nicht gekommen sein, aber zu einer Art persönlichem Verhältnis und einem gewissen Maß an Austausch über private Kommunikationswege schon.
Ghosting – Was ist dein Problem?
Geghostet zu werden, sei ein unangenehmes Gefühl. Selbstzweifel, Entrüstung und Fragen schießen ihr dann durch den Kopf – zum Beispiel: "Was ist das Problem? Liegt es an mir? Ist es schlechtes Benehmen der anderen Person? Warum ist mein Gegenüber nicht erwachsen genug, um zu sagen 'Ich fühle es nicht'?", sagt Alea.
Ghosting sei für sie umso unverständlicher, da sie ihrem Gegenüber schon früh kommuniziere, dass es in Ordnung sei, ihr zu sagen, wenn kein weiteres Interesse bestünde – aus welchen Gründen auch immer.
"Ghosting ist immer ein absolutes Unding, finde ich. Es ist keine Art, wie man mit Menschen umgehen sollte."
Für Alea ist Ghosting ein Unding und keine Art, mit Menschen umzugehen. Und weil es sie so sehr ärgert, konfrontiert Alea ihr Gegenüber manchmal mit dem eigenen Verhalten. Zum Beispiel Sam, der im echten Leben einen anderen Namen hat. Ihn hat sie über das Handy ihrer Mutter angerufen. Sam habe sich dann erklärt und auch Aleas Sicht der Dinge verstanden. Eine Einsicht komme aber nicht von jedem Ghoster, den Alea konfrontiere.
Bewusstsein für das negative Verhalten schärfen
Alea suche den Kontakt aber nicht, um wieder ein Verhältnis zu der Person aufzubauen. "Ich möchte mit keiner Person, die mich geghostet hat, danach noch Kontakt haben", sagt sie. Ihre Anrufe dienen vor allem dem Ziel, andere Menschen vor Ghosting zu schützen und das Bewusstsein für das negative Verhalten beim Gegenüber zu schärfen.
"Ich möchte gerne, dass es anderen nicht passiert und mein Gegenüber da vielleicht darüber nachdenkt, bevor er das mit der Nächsten macht."
Alea gesteht aber auch, dass es schon ein bisschen ihrem Wunsch nach Gerechtigkeit befriedigt. "Die schockierte Reaktion des Gegenübers gibt mir schon was", sagt sie. Das sei ein Tausch für den Frust und Schmerz, der ihr zugefügt wurde. Das könne derjenige dann auch mal abbekommen.
Ein- oder zweimal nachfragen, dann ist gut
"Ghosting ist leider eine sehr schmerzhafte Erfahrung, weil wir eine Verbindung mit einem Menschen verlieren oder auch sehr viel Hoffnung", sagt der Psychologe Alexander Tiesenhausen. Schmerzhaft vor allem auch deswegen, da der Kontakt grundlos und ohne Erklärung abgebrochen werde. Der Psychologe rät, wer über die Zeit ein- bis zweimal nachgefragt, vielleicht auch mal angerufen und keine Antwort bekommen habe, der solle die Sache besser auf sich beruhen lassen.
"Wenn man schon zweimal geschrieben hat, vielleicht einmal anrufen hat, dann sollte man das auf sich beruhen lassen."
Wer eine Person nach dem Ghosting in die Konfrontation zwingt, eventuell mit einer unbekannten Handynummer, der sollte sich nicht zu viel davon versprechen, sagt Alexander. Statt einer aufrichtigen Erklärung und Entschuldigung müsse mit Ausreden und Lügen gerechnet werden.
Das Problem liegt eher bei den Ghostern
Der Psychologe empfiehlt in der Regel, das Ghosten vor allem als Abschluss zu betrachten. Denn dahinter stecke eine Botschaft. "Die Tatsache, dass ich da geghostet wurde, heißt auch, das passt für mich nicht", so Alexander. Das Problem liege meist bei den Menschen, die ghosten. Sie könnten konfliktscheu sein, bindungsunfähig oder andere Probleme haben.
"Meistens liegt das Problem bei der Person, die ghostet. Sie ist konfliktscheu, hat Ängste, kann sich nicht binden oder irgendwo ist etwas anderes unstimmig.“
Trotz des Versuchs, die Sache etwas nüchterner zu betrachten – ein wenig Verletzung und ein angekratztes Selbstwertgefühl bleibt oft nicht aus. Was heißt das für das nächste Kennenlernen?
Beziehungen bergen einfach ein gewisses Risiko, sagt Alexander. So, wie ein Mensch einen Unfall haben kann. Es gehe aber nicht darum, völlig angstfrei in die nächste Online-Chat-Konversation zu gehen, sondern um das Bewusstsein, dass es okay ist, auch Angst zu haben und verletzt zu werden. Wer sich eine Bindung wünscht, dem sollt es auch wert sein, das Risiko einzugehen, so der Psychologe.