Seerechtlerin Nele Matz-Lück"Das Seerecht müsste reformiert werden"
Nach vier Tagen Ungewissheit darf das Rettungsschiff "Lifeline" nun in Malta anlegen - Italien und Spanien hatten dies bis zuletzt verweigert. Aber mit welchem Recht überhaupt? Wir sprechen mit der Seerechtlerin Nele Matz-Lück über die schwierige rechtliche Lage der Seenotretter.
Tagelang lag das deutsche Rettungsschiff "Lifeline" in internationalen Gewässern. An Bord: rund 230 Geflüchtete, die die Seenotretter am Donnerstag (21.06.) vor der libysche Küste an Bord genommen hatten. Weder Spanien, noch Italien oder ein anderes Land wollte das Schiff in einen Hafen einfahren lassen. Die rechtliche Lage ist verzwickt.
Retten ist Pflicht
Zunächst einmal ist jeder Kapitän dazu verpflichtet, Menschen in Seenot zu retten und an einen sicheren Ort zu bringen - das ist in verschiedenen internationalen Abkommen zum Seerecht und der Seenotrettung festgeschrieben.
Doch schon da fängt die Schwierigkeit an, sagt Nele Matz-Lück, Professorin für Seerecht an der Uni Kiel: "Schon was ein 'sicherer Ort' heißt, darüber kann man sich streiten."
"Italien scheint davon auszugehen, die libysche Küstenwache hätte hier retten und die Personen zurück nach Libyen bringen müssen. Ob Libyen ein sicherer Ort ist, darüber kann man trefflich streiten."
Häfen sind geschützt
Jedes Land kann prinzipiell entscheiden, welche Schiffe in seinen Hafen einlaufen. Ein Staat, so erklärt die Seerechtlerin, muss kein Schiff fremder Flagge in seine Häfen lassen. "Die Häfen gehören zu den sogenannten 'inneren Gewässern' - das ist eine Zone, die noch stärker unter Souveränität steht als das Küstenmeer".
Italien erhebt Vorwürfe
Italien argumentiert außerdem, Seenotretter wie die von der "Mission Lifeline" holen Menschen aus dem Meer, obwohl dafür eigentlich die libysche Küstenwache zuständig wäre - die die Geretteten dann zurück nach Libyen brächte.
"Der Vorwurf der Staaten geht dahin, dass Schiffe wie die Lifeline darauf warten, Personen aufzunehmen, die in Seenot sind - und so auf eine Art mit den Schleppern zusammenarbeiten."
Nele Matz-Lück sagt, wir sähen an diesem Beispiel, dass unser heutiges Recht nicht gemacht sei für die aktuelle Situation. Es müsste eigentlich reformiert werden.
"Wir sehen einfach, dass das Recht, was wir im Moment haben, gar nicht gemacht ist für diese Situation mit Massenmigration, mit Massenseenot umzugehen."
Doch wer soll das Seerecht reformieren? "Das müssten genau die Staaten machen, die gar nicht wollen, dass wirklich verbrieft ist, dass sie solche Flüchtlingsboote an Land lassen müssen", sagt Nele Matz-Lück. Italien, Spanien und Malta müssten sich also mit den anderen Staaten zusammentun und eine gemeinsame Lösung finden.
Schwierige Zuständigkeiten
Aus juristischer Sicht seien Fälle wie der der Lifeline außerdem kompliziert, weil die Zuständigkeit nicht ganz klar sei, so die Seerechtlerin: Der konkrete Fall beispielsweise berühre zwar internationales Seerecht - zuständig wäre der Internationale Seegerichtshof in Hamburg. Aber bei Fragen, die EU-Staaten betreffen, gehe der Europäische Gerichtshof davon aus, dass alle Streitigkeiten - auch seerechtlicher Art - nur dort verhandelt werden.
"Was wir hier dringend brauchen ist eine politische Lösung, die dann vielleicht rechtliche Reformen nach sich zieht."
Politische Lösungen sind gefragt
In absehbarer Zeit, meint Nele Matz-Lück, wird sich die rechtliche Situation für die ehrenamtlichen Seenotretter also wohl kaum verbessern. Sie sind letztlich darauf angewiesen, dass es politische Lösungen gibt.
Italien hat nun angekündigt, dass einige Geflüchtete der Lifeline auch nach Italien kommen dürfen, in der Hoffnung, dass auch andere EU-Länder nachziehen. Frankreich hat Unterstützung signalisiert.
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