Ozan Zakariya Keskinkılıç zum Hanau-Anschlag"Es kann nicht sein, dass es mit der Empörung aufhört"
Seit dem Anschlag von Hanau seien vielen Menschen die Probleme mit Rassismus und Polizeigewalt viel bewusster geworden, sagt der Politikwissenschaftler Ozan Zakariya Keskinkılıç. In dieser Ab-21-Folge erklärt er, was sich seither verändert hat und was sich seiner Meinung nach in Sachen Rassismus und Antisemitismus in Deutschland noch ändern müsste.
Bei einem rechtsterroristischen Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020 erschoss ein 43-jähriger Deutscher gezielt neun Menschen mit Migrationshintergrund. Anschließend erschoss er auch seine Mutter und sich selbst, so die Generalbundesanwaltschaft – der offizielle Ermittlungsabschluss steht noch aus.
Verschwörungsmythen und Rassismus
Vor der Tat hatte der Mann Pamphlete mit Verschwörungserzählungen und rassistischen Ansichten im Internet veröffentlicht. Für von Rassismus betroffene Menschen in ganz Deutschland hat dieser Anschlag vor gut einem halben Jahr vieles geändert.
Ozan Zakariya Keskinkılıç forscht zu antimuslimischem Rassismus und promoviert an der Humboldt-Universität Berlin. Er sagt, dass Hanau für viele Menschen eine Zäsur gewesen sei, "ein großer Teil der Gesellschaft kann das aber sehr gut verdrängen, weil sie vielleicht nicht unbedingt eine Betroffenheit darin erkennen oder spüren".
Rassistische Gewalt beschränkt sich nicht auf Hanau
In dieser fehlenden Betroffenheit von weißen Menschen in Deutschland sei das Dilemma im Umgang mit Rassismus und Antisemitismus begründet, so der Forscher. Deshalb bestehe die Aufgabe nun rund ein halbes Jahr nach dem Anschlag darin, ein gesamtgesellschaftliches Verständnis für die "Dimension dieses rassistischen Terrors" zu schaffen.
Denn Hanau ist für den Politikwissenschaftler kein Einzelfall, wie die Ereignisse in den vergangenen Monaten gezeigt hätten. Da habe es antiasiatischen Rassismus aufgrund der Corona-Pandemie ebenso gegeben wie die Black-Lives-Matter-Bewegung. Vor Hanau sei viel passiert und danach auch. Rassistische Gewalt beschränke sich in Deutschland nicht auf diese eine terroristische Tat.
"Wir sind ohnehin nicht sicher im öffentlichen Raum. Und das ist etwas, was sich nicht auf Hanau beschränkt. Sondern das betrifft die Kontinuität der rechten und rassistischen Gewalt, der wir ausgesetzt sind."
Deshalb fordert Zakariya grundlegende Veränderungen, die über eine Solidarisierung über kurze Empörungsposts in den sozialen Medien hinausgeht: "Was wir nicht brauchen, ist eine Reduzierung auf die Empörung. Die ist zwar zu einem gewissen Grad wichtig, aber es kann nicht sein, dass es damit aufhört."
Einen ersten und aus seiner Sicht vorsichtig positiv zu bewertenden Schritt sieht er in der Gründung des Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus im Mai dieses Jahres. Doch der Politikwissenschaftler hält noch weitere Änderungen für notwendig.
So fordert er eine gesetzlich verankerte Definition von Rassismus, die auch institutionellen und strukturellen Rassismus beinhaltet, eine Studie über Racial Profiling, unabhängige Beschwerdestellen an Schulen sowie eine Debatte über die Institutionalisierung von Rassismusforschung an den Hochschulen und Universitäten.
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