Verfahren gegen Polen und UngarnSchleichender Demokratieabbau in der EU
Rechtsstaatlichkeit gehört zu den Grundwerten der Europäischen Union. Doch was, wenn einige Mitgliedsstaaten ihre demokratischen Institutionen nach und nach schwächen? Wie kann sich die EU gegen "democratic backsliding" schützen? Ein Vortrag der Politikwissenschaftlerin Sonja Priebus.
Die Europäische Union gründet sich auf Werte wie Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. So steht es in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union. Doch manche Staaten, wie Polen oder Ungarn, bauen seit einigen Jahren ihre Justizsysteme um – mit weitreichenden Folgen.
In der Wissenschaft spricht man von "democratic backsliding". Damit ist gemeint, dass rechtsstaatliche Strukturen und Prozesse schleichend abgebaut und ausgehebelt werden.
"Ohne entschiedenes Vorgehen, ohne Sanktionen gegenüber Ungarn und Polen können diese Regierungen unbeirrt ihren Kurs fortsetzen und kommen ungestraft davon."
Dabei handelt es sich um einen graduellen Prozess. Genau das macht es schwierig, richtig zu reagieren. Woran erkennt man, wie schwach Demokratie und Rechtsstaat in einem Land schon sind? Wann ist der richtige Zeitpunkt zum Eingreifen? Wie kann man überhaupt eingreifen?
"In der Berichterstattung wird Artikel 7 als Strafverfahren bezeichnet. Tatsächlich ist es eher ein freundlicher Austausch."
Genau dafür hat die Europäische Union schon vor über zwanzig Jahren ein Mittel geschaffen, nämlich den Artikel 7 des EU-Vertrags.
Gegen Polen und Ungarn wurden Verfahren eingeleitet
Der EU-Vertrag erlaubt es, ein Verfahren gegen einen Mitgliedsstaat zu eröffnen, in dem festgestellt wird, ob schwerwiegende Verletzungen von EU-Werten vorliegen. Sowohl gegen Polen als auch gegen Ungarn hat die EU solche Verfahren bereits 2017 und 2018 eingeleitet.
"Es sind erst die vom Europäischen Rat erlassenen Modalitäten, die die Verwässerung der Verfahren in der Praxis verursachen und sie zu zahnlosen Tigern machen."
Warum diese Verfahren bisher ergebnislos geblieben sind, erklärt Sonja Priebus in ihrem Vortrag. Sie ist Politikwissenschaftlerin an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt Oder. Der Europäische Rat habe das Artikel-7-Verfahren so verwässert, sagt Sonja Priebus, dass er zu einem "zahnlosen Tiger" geworden sei.
"Wie ist der Stand der Dinge, drei, beziehungsweise vier Jahre nach Aktivierung dieser Instrumente? Nun, bisher sind die Verfahren ergebnislos."
Der Vortrag
Sonja Priebus hat ihren Vortrag am 16. November 2021 beim Kulturwissenschaftlichen Europa-Kolloquium der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) gehalten. Ihr Vortrag hat den Titel "Die Verfahren nach Artikel 7 EUV gegen Ungarn und Polen: Nukleare Option oder zahnloser Tiger?"