AKW Saporischschja"Ein Atomkraftwerk an nur einem Tag zu überprüfen, ist sehr sehr schwer"
Wie es um das besetzte Atomkraftwerk Saporischschja in der Ukraine tatsächlich steht, ist nicht ganz klar. Jetzt ist ein Team der Internationalen Atomenergiebehörde auf dem Weg dorthin, es hat einen Tag Zeit. Eine Inspektion dauert normalerweise eine ganze Woche.
Das Atomkraftwerk Saporischschja im Südosten der Ukraine ist das leistungsstärkste Kernkraftwerk in Europa – und befindet sich seit Monaten mitten in einem Kriegsgebiet. Die russischen Truppen besetzen das AKW seit Anfang März, während die ukrainischen Mitarbeiter*innen den Betrieb weiter aufrechterhalten sollen.
Saporischschja ist wichtig für die Stromversorgung der Ukraine. Neben dem Süden des Landes bekommt auch die von Russland besetzte Ostukraine ihren Strom hierher. Deshalb ist der Betrieb des Kraftwerks auch für Russland von Interesse.
Internationale Sorge um Sicherheit
Durch mehrfachen Beschuss ist das AKW allerdings beschädigt, zwischenzeitlich wurde es wegen Feuerschäden für eine kurze Zeit vom Netz genommen. Durch diese Entwicklungen nimmt die Sorgen um die Sicherheit des Kernkraftwerks zu. Radioaktivität ist in Saporischschja bisher aber nicht ausgetreten.
Wie es um das AKW Saporischschja steht, soll deswegen heute (01.09.2022) ein Team der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) herausfinden.
Inspektion im Kriegsgebiet
Einen Tag hält Sebastian Stransky von der Gesellschaft für Reaktor- und Anlagensicherheit für extrem wenig Zeit – besonders vor dem Hintergrund, wie groß das AKW ist. In Saporischschja gibt es sechs Reaktoren. Alleine für die Überprüfung von einem Reaktorblock sind in der Regel mehrere Tage vorgesehen, für das gesamte AKW etwa eine Woche, sagt er.
Zusätzlich würde die Inspektion im Regelfall nach einem genauen Ablauf durchgeführt, die mit dem Betreiber des AKW und der Aufsichtsbehörde des jeweiligen Landes abgesprochen wird. Das sind alles Voraussetzungen, die aktuell im Kriegsgebiet nicht erfüllt sind.
Trotzdem kann Sebastian Stransky den Plan der IAEA-Expert*innen nachvollziehen. Wie viel sie tatsächlich davon schaffen, wird sich dann zeigen. Schließlich gab es eine vergleichbare Situation bisher nicht.
"Dass ein Kernkraftwerk Gegenstand von Kampfhandlungen ist, dass es seit Monaten durch eine militärische Macht eines fremden Landes besetzt ist und kontrolliert wird, dafür gibt es kein Beispiel. Das ist ein absolutes Novum."
Das Team der IAEA hat für seine Inspektion vier Aspekte priorisiert:
- Überblick der Schäden am AKW durch den Beschuss verschaffen
- Zustand der Sicherheitseinrichtungen überprüfen: Für Sebastian Stransky ist dieser Punkt der Wichtigste der Inspektion. "Vom Zustand der Sicherheitseinrichtung hängt ab, ob das Kraftwerk wirklich betrieben werden kann", sagt er. Sollte es beispielsweise zu dem Fall kommen, dass die Reaktoren abgeschaltet werden, wird über die Sicherheitseinrichtung unter anderem gewährleistet, dass die Reaktoren gekühlt werden.
- Gespräche mit den ukrainischen Mitarbeiter*innen: Sie sollen den Betrieb sicherstellen, während sie seit Monaten vom russischen Militär umgeben sind. Sie arbeiten also unter einer extremen psychischen Belastung, so der Experte.
- Brennelemente überprüfen
"Das Programm, das sich die Expertengruppe gesetzt hat, ist aus meiner Sicht ein sehr, sehr nachvollziehbares Programm. An einem Tag ist das aber nur sehr, sehr schwer zu machen."
Bisher keine akute Gefahr
Obwohl die Meldungen über den Zustand von Saporischschja seitens des ukrainischen und russischen Militärs oder der ukrainischen Aufsichtsbehörde nur schwer bis gar nicht unabhängig überprüft werden können, ist Sebastian Stransky aktuell nicht um die Sicherheit des AKW besorgt.
"Wir sind seit Monaten mit der Thematik beschäftigt. Wir verfolgen alle Meldungen, alle Nachrichten, die wir bekommen. Dadurch, dass wir die Anlage sehr gut kennen – meine Mitarbeiter waren mehrfach vor Ort, ich selbst kennen diesen Anlagentyp – können wir aus einer kurzen Meldung zu technischen Dingen schon herausfinden, was wirklich passiert und welche Auswirkungen das haben könnte", erklärt er.
Sebastian Stransky beschreibt die Situation momentan als angespannte Aufmerksamkeit. Das bedeutet: Nach seiner Einschätzung müssen wir uns gerade keine Sorgen um eine akute Gefahr einer zweiten Reaktorkatastrophe machen, ähnlich wie es sie 1986 in Tschernobyl gab.
"Eine akute Gefahr, dass es zu einem kerntechnischen Unfall kommen könnte, gibt es derzeit nicht."