Russlands KriegWas das Völkerstrafrecht kann und was nicht
Putin nach Den Haag – diese Forderung wurde unmittelbar nach dem vollumfänglichen Angriff der russischen Föderation auf die Ukraine erhoben. Welche Möglichkeiten das Völkerstrafrecht hat und welche nicht, erklärt die Rechtswissenschaftlerin Stefanie Bock.
Diese Forderung "Putin nach Den Haag" sieht Stefanie Bock als Beleg dafür, dass das Völkerstrafrecht allgemein anerkannt ist. Die Anwendung des Völkerstrafrechts werde als nachdrücklicher empfunden als das Durchsetzen von Wirtschaftssanktionen oder das Einziehen von Eigentum für eventuelle Reparationszahlungen. Ein Grund dafür dürfte sein, vermutet Stefanie Bock, dass entsprechende Straftaten einzelnen Individuen zugeordnet werden können und nicht von abstrakten Entitäten begangen werden.
Allerdings ist die Anwendung des Völkerstrafrechts und der Nachweis entsprechender Taten kompliziert. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) kann nicht in jedem Fall tätig werden, sondern nur, wenn die zu verhandelnden Taten in einem Vertragsstaat begangenen wurden beziehungsweise wenn Personen mit der Staatsbürgerschaft eines solchen beteiligt sind. Zu den entsprechenden Straftaten zählen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und die Aggression selbst, der Angriffskrieg. Dabei versuche das humanitäre Völkerrecht, zwischen zulässiger und unzulässiger Gewalt zu unterscheiden.
"So furchtbar der Ausdruck ist, aber das humanitäre Völkerrecht und somit auch das Völkerstrafrecht akzeptiert 'zivile Kollateralschäden'."
Die Ukraine selbst ist kein Vertragsstaat hat aber ad hoc-Erklärungen gegenüber dem IStGH ausgesprochen.
Ein Gerichtshof in der Kritik
Stefanie Bock verweist in ihrem Vortrag auf Debatten zum Thema humanitäres Völkerrecht. In asiatischen und afrikanischen Staaten stehe die Ausgewogenheit des IStGH in Frage. Werden Kriegsverbrechen mit zweierlei Maß gemessen?
"Es bleibt die Frage im Raum, ob 'der Westen' hier eigene Standards anlegt. Länder aus dem globalen Süden fragen: Wo war denn euer Ruf nach Gerechtigkeit, als die USA in Irak einmarschiert sind?"
Der Straftatbestand, den insbesondere die Ukraine geltend mache, sei der des Völkermords. Stefanie Bock schränkt aber ein, dass der Nachweis schwierig sei. Sie verweist auf die Wannsee-Konferenz, auf der Vertreter des NS-Regimes die Ermordung der europäischen Juden koordiniert und schriftlich festgehalten haben. Wenn ein solcher Beschluss fehle, sei der Nachweis dieses Straftatbestandes aufwendig.
Dagegen sei die individuelle Verantwortlichkeit, zum Beispiel bei der Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland einfacher nachzuweisen.
"Putin sitzt im Kreml. Sehr weit weg von den Verbrechen, die vor Ort begangen werden."
Stefanie Bock ist Rechtswissenschaftlerin an der Philipps-Universität Marburg.
Ihren Vortrag über "Potenziale und Grenzen des Völkerstrafrechts im Ukrainekrieg" hat sie am 24.10.2023 auf Einladung der Leipziger Juristischen Gesellschaft(LJG) und der Juristischen Fakultät der Universität Leipzig gehalten.