RisikokompetenzStatistiken besser einordnen
Zahlen haben etwas Magisches. Wir können mit ihnen spielen, rechnen und: manipulieren. Zum Beispiel, wenn mit geschicktem Rechnen genau das in den Vordergrund gestellt wird, was auf den ersten Blick ganz toll klingt – trotz richtiger Rechnung aber nicht stimmen muss. Also: Besser immer nachdenken und nachrechnen. Der Psychologe Gerd Gigerenzer mit einem Vortrag über den richtigen Umgang mit Daten und Statistiken.
"Alle elf Minuten verliebt sich ein Single!" So wirbt eine große Datingplattform. Klingt großartig oder? Aber Vorsicht, es lohnt sich nachzurechnen. Denn, wenn wir alle wichtigen Zahlen, auf die es hier ankommt, berücksichtigen – zum Beispiel, dass die Plattform mehr als eine Million Nutzer hat – dann kommen wir in wenigen Rechenschritten zu einem viel interessanteren Ergebnis.
"Wir haben ein Problem in unserer Gesellschaft: kollektive Zahlenblindheit."
In einem Jahr haben wir auf diesem Wege statistisch gesehen nämlich nur eine Chance von 5 Prozent, uns zu verlieben, rechnet der Psychologe Gerd Gigerenzer in seinem Vortrag vor. Um mehr als eine 50-prozentige Chance zu haben, so unser Liebesglück zu finden, müssten wir demnach zehn Jahre auf der Plattform aktiv sein.
Statistiken hinterfragen, um bessere Entscheidungen zu treffen
Das klingt dann schon gar nicht mehr so vielversprechend. Dass sich alle elf Minuten ein Single verliebt, ist keine falsche Aussage. Es ist nur eben nicht die Information, die uns wirklich interessieren sollte.
"Wir leben in einer Welt, wo viele Menschen und auch viele Experten, wie Journalisten, Ärzte, Richter, nicht gelernt haben, Risiken zu verstehen."
Das ist eins der vielen Beispiele aus dem Vortrag des Psychologen Gerd Gigerenzer. Seine These: Wir alle – Laien, Fachleute, Journalistinnen und Journalisten, Ärztinnen und Ärzte – haben nicht ordentlich gelernt, mit Zahlen umzugehen und Wahrscheinlichkeiten zu verstehen. Das hat ziemlich dramatische Folgen. Zum Beispiel, wenn Ärzte Patienten zu sinnlosen Untersuchungen raten oder wenn positive Testergebnisse als nahezu sichere Erkenntnisse verkauft werden, die sie gar nicht sind.
"Es gibt Erwachsene, die sagen mit Stolz, dass sie schlecht in Mathematik waren und bekommen dafür Applaus."
Gerd Gigerenzer ist Direktor emeritus des Harding-Zentrums für Risikokompetenz am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Zusammen mit Kollegen gibt er seit Jahren die "Unstatistik des Monats" heraus. Jeden Monat nehmen sich die Autoren einen Fall vor, in dem Statistiken irreführend dargestellt werden und erklären in einfachen Worten, wie die Zahlen in Wirklichkeit zu interpretieren sind.
Gerd Gigerenzers Vortrag hat den Titel "Vom Umgang mit Risiko und Unsicherheit – Wie man die richtigen Entscheidungen trifft". Er hat ihn am 12. März 2019 im Rahmen der Vortragsreihe exkurs der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Leipzig gehalten.
"Deutschland war einmal das Land er Dichter und Denker. Dichten haben wir eh vergessen, aber Denken sollten wir wieder lernen."