Bericht aus KiewKriegsreporterin: "In Kiew ist kein Mensch mehr draußen"
Die russischen Truppen nähern sich der ukrainischen Hauptstadt Kiew. In den kommenden Tagen wird ein großer Angriff erwartet. Jetzt sei aber noch alles ruhig und leer, berichtet unsere Reporterin Stefanie Glinski, die gerade in Kiew war und nun weiter nach Odessa gefahren ist.
"Die Lage in Odessa ist ganz anders als die Lage in Kiew", sagt Stefanie Glinski. Die Kriegsreporterin ist heute von der Hauptstadt in die Hafenstadt ans Schwarze Meer gefahren. In Kiew sei alles geschlossen, kein Mensch sei mehr auf den Straßen gewesen.
"Odessa bleibt weiterhin die letzte strategische Stadt am Schwarzen Meer. Das bedeutet die Stadt erwartet auch einen Angriff und ist praktisch in der Vorbereitungsphase."
In Odessa sei hingegen sehr viel los auf den Straßen. Viel Polizei und viele Soldaten seien unterwegs. Menschen seien damit beschäftigt, Barrikaden zu errichten. Russische Truppen bewegten sich aus Osten derzeit auch weiter Richtung Odessa vor, denn die Stadt sei strategisch wichtig, wegen ihrer Lage am Meer.
Nachtzug nach Odessa
Stefanie Glinski ist mit dem Zug von Kiew nach Odessa gefahren. Mit dem Auto sei das kaum noch möglich gewesen – weil überall Staus sind und Straßenkontrollen. Aber mit dem Nachtzug sei es kein großes Problem gewesen, berichtet sie. Dennoch sei es ein komisches Gefühl gewesen, denn auch entlang der Zugstrecke gebe es Orte, die bombardiert wurden, wie etwa der Flughafen Winniza. "Der Zug fährt aber trotzdem weiterhin und transportiert Menschen raus aus Kiew und Soldaten rein nach Kiew", sagt Stefanie.
"Es irgendwie ziemlich komisch. Dass man noch relativ normal mit diesem Nachtzug fahren kann."
Bevor Stefanie nach Odessa gefahren ist, war sie mehrere Tage in Kiew unterwegs. Auch in Vororten, in denen bereits gekämpft wurde. An manchen Orten würden Zivilisten unter Beschuss fliehen. "Ich habe viele Leute getroffen, die verletzt waren, die zitternd aus ihrer Stadt geflohen sind und tatsächlich alles zurückgelassen haben, weil die Russen dort angegriffen haben", berichtet die Reporterin.
Die Versorgungslage in Kiew sei noch in Ordnung, zumindest was Lebensmittel anbelangt. In den Supermärkten gebe es noch Essen zu kaufen und die Menschen müssten keinen Hunger haben, anders sei die Situation hingegen bei den Apotheken, dort sei die Versorgung schwierig geworden. Lange Schlangen würden sich bilden, für Menschen, die auf Insulin angewiesen seien, werde es problematisch.
"An den Apotheken gibt es sehr lange Schlangen. Menschen warten auf Insulin und auf andere Medikamente, die sie brauchen."
Auch Benzin sei knapp und kaum noch zu bekommen. Ein Taxifahrer, mit dem Stefanie Glinski unterwegs gewesen ist, hatte sich darauf vorbereitet und sich ein Depot in seinem Keller angelegt.
"Die Ampeln wurden ausgestellt, was in den letzten Wochen zu sehr vielen und sehr, sehr heftigen Autounfällen geführt hat."
Die Stromversorgung in der Stadt sei auch noch intakt, allerdings habe man die Ampeln ausgeschaltet. Und das führe dazu, dass in den vergangenen Tagen sehr viele, zum Teil auch sehr heftige Unfälle passiert seien. "Ich habe auch immer wieder gesehen, dass Menschen mit Krankenwagen abgeholt wurden", sagt Stefanie, man müsse aufpassen, wenn man im Moment mit dem Auto durch Kiew fahre.
Zum Abschied wünscht man sich Glück
Die Menschen begrüßen und verabschieden sich mittlerweile nur noch mit einem Gruß, der etwa so viel bedeutet wie "Ruhm und Ehre der Ukraine", berichtet Stefanie, "die Menschen wünschen sich Glück. Keiner sagt mehr Tschüss, weil ich glaube, das ist es, was jetzt wirklich jeder braucht", sagt Stefanie Glinski.