RechtswissenschaftDer Unterschied zwischen Kritik und Antisemitismus
Vom Recht gedeckte Meinungsfreiheit? Strafbarer Antisemitismus? Ob es wirklich so schwierig ist, das eine vom anderen zu unterscheiden, darum geht es in dem Vortrag des Rechtswissenschaftlers Lothar Zechlin und in dem daran anschließenden Kommentar des Referenten der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus, Daniel Poensgen.
"Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden" – so lautet die Antisemitismus-Definition von Theodor W. Adorno. Es gibt weitere Definitionen und Definitionsversuche. Der Jurist Lothar Zechlin legt dar, welche er aus welchen Gründen für brauchbar hält. Er diskutiert die oft zitierte Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) ebenso wie das, was die Bundesregierung daraus adaptiert hat. Laut Zechlin ist es wichtig, die Kontexte eventuell antisemitischer Äußerungen genau zu betrachten. Er unterscheidet zwischen religiös und politisch motiviertem Antisemitismus. Kritik an israelischem Regierungshandeln aus menschenrechtlicher Perspektive dagegen sei davon klar zu unterscheiden.
"Diese Kritik an Israel kann antisemitisch sein. Und sie kann nicht antisemitisch sein. Das gilt es genau zu unterscheiden."
Eine antisemitische Strategie macht Lothar Zechlin in der sog. "Umweg-Kommunikation" aus: Wer antisemitisches sagen will, ohne sich direkt als antisemitisch zu erkennen zu geben, spricht gern von "Israel", wenn er oder sie "Juden" meint. Zechlin plädiert dafür, Judentum, Zionismus und Israel begrifflich auseinander zu halten. Er zitiert den Historiker und Antisemitismusforscher Moshe Zimmermann:
"Nicht alle Juden sind Zionisten, nicht alle Zionisten sind Israelis, nicht alle Israelis sind Juden."
Daniel Poensgen vom Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e.V. (RIAS) kommentiert Zechlins Vortrag. Der Co-Autor des von der EU-Kommission herausgegebenen "Handbook for the practical use of the IHRA Working Definition of Antisemitism" nimmt Anstoß am sich objektiv gebenden Begriff "Israelkritik". Denn darin sei bereits ein Ressentiment enthalten. Und auch in anderen Punkten stimmt er seinem Vorredner nicht unbedingt zu.
"Aktuellere Studien zum Antizionismus definieren ihn als einen politischen Standpunkt, der das Recht von Juden, einen jüdischen Staat zu gründen, ablehnt. Der sich also gegen die jüdische Nationalbewegung wendet."
Beide Vorträge stammen von der Veranstaltung "Antisemitismus und Israelkritik - eine heikle Unterscheidung" und wurden am 27. Mai 2021 online auf Einladung der Reihe Abraham Bar Menachem Talk an der Justus-Liebig Universität Gießen gehalten. Prof. Lothar Zechlin hat vor Eintritt in den Ruhestand Öffentliches Recht an der Universität Duisburg-Essen gelehrt. Daniel Poensgen ist wissenschaftlicher Referent beim Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e.V. (RIAS).