Anfeindungen nach EM-FinaleRassismus im Fußball: Ein strukturelles Problem

Nach dem verlorenen EM-Finale Englands gegen Italien wurden Bukayo Saka, Marcus Rashford und Jadon Sancho – die Elfmeterschützen, die nicht getroffen hatten – im Netz angefeindet und rassistisch beleidigt. Dieser offene Rassismus hat im Sport oft eine strukturelle Ebene, analysiert der Journalist Philipp Awounou.

"Ich bin Marcus Rashford, ein schwarzer Mann aus Süd-Manchester. Ich habe kein Problem damit, mir den ganzen Tag lang Kritik an meiner Leistung anzuhören, aber ich werde mich niemals dafür entschuldigen, wer ich bin und woher ich komme." Das ist ein Ausschnitt aus einem Statement des englischen Fußball-Nationalspielers Marcus Rashford – seine Reaktion auf die rassistischen Beleidigungen gegen ihn, Bukayo Saka und Jadon Sancho, die drei Nationalspieler, die im EM-Finale gegen Italien ihren Elfmeter verschossen hatten.

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Die Lage war teilweise auch außerhalb des Internets besorgniserregend: Bürgerrechtsorganisationen hatten nicht-weiße Engländer gewarnt, in der Nacht auf die Straße zu gehen.

Offener und struktureller Rassismus

Die Beleidigungen gegen die englischen Nationalspieler seien in erster Linie offener Rassismus – "stumpf, hohl und diskriminierend", sagt der Journalist Philipp Awounou, der unter anderem für das Rechercheformat "Sport Inside" arbeitet.

Es gebe aber auch in diesem Fall eine strukturelle Ebene – und zwar einen Leistungsanspruch an Menschen mit migrantischer Perspektive, den weiße Mitspieler nicht hätten.

"Sobald die Leistung nicht stimmt, wird Sportlern mit migrantischer Perspektive plötzlich die Zugehörigkeit zu einem Land abgesprochen."
Philipp Awounou, Journalist

Die Zugehörigkeit zu einem Land werde solchen Spielern plötzlich abgesprochen, sobald die Leistung nicht stimmt. Und das sei nicht nur in England ein Problem. Vergleichbar seien etwa die Fälle des französischen Nationalspielers Karim Benzema, des Belgiers Romelu Lukaku oder auch von Jerome Boateng und Mesut Özil in Deutschland. Beide ehemaligen DFB-Spieler haben diese Strukturen in der Vergangenheit angesprochen, sagt Philipp Awounou: Wenn sie gut spielen, seien sie Deutsche – und wenn nicht, dann die Deutschen mit Migrationshintergrund.

"Schwarzen Menschen war nach dem Elfmeterschießen sofort klar, dass sie jetzt ein Problem haben. Als Southgate 1996 verschoss, hatten danach sicherlich nicht viele weiße Menschen Angst um ihr eigenes Wohl."
Philipp Awounou, Journalist

Dass es sich um ein strukturelles Problem handelt – und eben nicht nur um Kritik an Fußballspielern – werde auch dadurch klar, dass schwarzen Menschen nach dem Elfmeterschießen sofort klar gewesen sei, dass sie jetzt ein Problem haben, so der Journalist. Weil drei schwarze Spieler einen Elfmeter verschossen haben.

Unterschied: Southgates Fehlschuss 1996

Genau das sei eben der große Unterschied. Als Gareth Southgate 1996 im Halbfinale der englischen Heim-EM gegen Deutschland einen sehr wichtigen Elfmeter verschoss, hatten danach sicherlich nicht viele weiße Menschen in England Angst um ihr eigenes Wohl, sagt Philipp Awounou.

Die wichtigste Reaktion auf die rassistischen Beleidigungen sei die, die wir gerade erleben würden, so der Journalist: eine breite Solidarität – laute, klare Zeichen, um deutlich zu machen, dass diese Grenzüberschreitungen nicht in Ordnung sind. Diese Zeichen müssten aber natürlich authentisch und ernst gemeint sein. Inwiefern das bei Teilen der britischen Regierung der Fall sei, könne man in Frage stellen.

Britische Politiker – ambivalente Haltung

"Dieses England-Team verdient es, als Helden verehrt und nicht rassistisch beschimpft zu werden", hatte der britische Premierminister Boris Johnson getwittert. Und auch die britische Innenministerin Priti Patel hatte die Vorfälle verurteilt. Gleichzeitig hatten sich beide vor einiger Zeit aber auch kritisch gegenüber dem kollektiven Kniefall der englischen Nationalspieler geäußert, den die Fußballer seit einiger Zeit unmittelbar vor dem Anpfiff als Zeichen gegen Rassismus zelebrieren.

"Ich glaube, der Fußball kann intern ganz viel tun, um seine eigenen rassistischen Strukturen abzulegen."
Philipp Awounou, Journalist

Um tatsächlich ein leuchtendes Beispiel zu sein – und eben nicht nur auf scheinheiligen Plakaten, Bannern und in Imagefilmen – könne der Fußball intern ganz viel tun, um rassistische Strukturen abzulegen, sagt Philipp Awounou. Von der proklamierten Vorbildrolle sei er nämlich noch weit entfernt, wenn man sich etwa anschaue, wie die Machtverhältnisse verteilt sind.

Rassismus als Problem der ganzen Gesellschaft

Zugleich sei Rassismus natürlich ein gesamtgesellschaftliches Problem, das der Fußball nicht alleine lösen könne. Momentan werde viel über einige Fußballfans in England gesprochen. Im Endeffekt gehe es dabei aber gar nicht speziell um Fußball, sondern darum, dass ein Ventil gefunden wurde, um Rassismus ausleben zu können. Und genau das könne auch auf andere Weise passieren, sagt Philipp Awounou.

Politiker und Verbände könnten mit ihren Zeichen gegen Rassismus gar nicht deutlich genug sein, findet der Journalist. Von großen Verbänden wie der Uefa könne und müsse hier sicherlich mehr kommen. Bei aller Kritik lobt er aber das sichtbare antirassistische Engagement von Fanorganisationen und Fanclubs, gerade auch im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung.

"Die gerade gezeigte Solidarität war in der Vergangenheit nicht Standard, wenn Menschen rassistischen Diskriminierungen ausgesetzt waren."
Philipp Awounou, Journalist

Die knienden Spieler bei der EM seien zwar "nur" Symbolpolitik. Doch dass diese Zeichen ein Jahr nach Beginn der Black-Lives-Matter-Bewegung immer noch in die Öffentlichkeit getragen werden, dass sich das so lange trägt, ist für Philipp Awounou ein Zeichen dafür, dass dieses wichtige Thema gerade ankommt. Die gerade gezeigte Solidarität sei nichts, was in der Vergangenheit Standard war, wenn Menschen rassistischen Diskriminierungen ausgesetzt waren.

All das zeige: Die rassistische Beleidigungen gegen Marcus Rashford, Bukayo Saka und Jadon Sancho kamen von einer "wütenden, sehr gefährlichen Minderheit", so der Journalist.