PublizistinMarina Weisband: "Ich bin Demokratieaktivistin"
Jüngere oder Menschen, die am Rand unserer Gesellschaft stehen, wenig vernetzt sind, werden in unserer Demokratie schlechter vertreten als Lobbyverbände, sagt die Publizistin Marina Weisband. Das müsse sich ändern und dafür will sie sich einsetzen.
Marina Weisband ist Publizistin, Mitglied bei den Grünen und Expertin für digitale Partizipation und Bildung. Mit ihrem Projekt "aula" setzt sie sich dafür ein, demokratisches Denken schon in der Schule zu fördern. Gerade unter Jüngeren nimmt das Vertrauen in unsere Demokratie ab, wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt. Diese Entwicklung überrascht sie nicht.
"Wir haben eine Repräsentationskrise. Mir ist klar, dass sich die Demokratie entweder verändert oder stirbt. Ich arbeite daran, sie zu verändern."
Lobbyorganisationen, Verbände oder bestimmte Wirtschaftszweige hätten guten Zugang zur Politik und seien dort auch gut vertreten. "Das sehen wir alle, das fühlen wir alle", sagt Marina Weisband. Sie macht das auch fest am Altersdurchschnitt der Bundestagsabgeordneten, der weit entfernt sei von der Lebenserfahrung junger Menschen.
Selbstwirksamkeit erfahren und die erlernte Hilflosigkeit verlassen
Um aber Jüngere aus dem Gefühl der Ohnmacht oder der erlernten Hilflosigkeit, wie es in der Psychologie heißt, gegenüber der Politik herauszuholen, arbeitet Marina Weisband mit ihrem Projekt "aula" an den praktischen Erfahrungen von Selbstwirksamkeit junger Menschen. Diese Erfahrung könnten sie später in die Demokratie einbringen.
"Das Gefühl, ich kann nichts bestimmen, macht nicht nur psychisch krank, sondern es lädt auch dazu ein, für Verschwörungserzählungen anfälliger zu werden."
Das Projekt "aula" arbeitet mit einer Online-Plattform, über die Schüler und Schülerinnen ihre Ideen rund um Schule, Unterricht und die eigenen Herausforderungen teilen, diskutieren und verschiedene Vorschläge entwickeln können. Am Ende stimmen die Schüler*innen über diese Ideen ab. Ideen, die angenommen wurden, dürfen sie dann in Eigenverantwortung umsetzen. "Damit wird die Schule zu ihrer Schule. Sie sind nicht mehr Besucher, sondern Gestalter", erklärt Marina Weisband.
Stress durch Leistungsdruck und fehlende Repräsentation
Die Expertin für digitale Partizipation und Bildung nimmt wahr, dass einerseits der Anteil derjenigen steigt, die immer mehr Stress haben, mit dem Leistungsdruck klarzukommen. Andererseits wächst der Anteil derjenigen, die sich nicht wahrgenommen fühlen, sich nicht repräsentiert fühlen und keine Bereiche mehr haben, die sie selbst gestalten können. "Das kann ja nicht gesund sein, wenn wir über die nächste Generation sprechen, die diese Demokratie ausmachen wird", sagt Marina Weisband.
Damit sich diese Tendenz verändert, schlägt Marina Weisband eine "inklusivere demokratischere Demokratie" vor. Aus ihrer Sicht braucht es mehr als die reine Repräsentation im Bundestag, Landtag oder Stadtrat, sondern auch Bürger*innenräte, liquid-demokratische Tools, über die Menschen online ihre Meinung mitteilen können, und mehr basisdemokratische Elemente. Von diesen Tools und Elementen gibt es viele verschiedene für unterschiedliche Bereiche. "Man kann sie alle anwenden. Wir wenden nur ein Bruchteil der Instrumente an, die uns zur Verfügung stehen", erklärt Marina Weisband.
Wichtig sei auch, dass in den Städten und Gemeinden wieder mehr Räume geschaffen werden, in denen sich Menschen begegnen können – nicht nur zum Einkaufen. Es sollten Räume sein, die von allen gemeinsam gestaltet werden.
Um Menschen zu motivieren, sich bei der Gestaltung von Räumen, in politischen Gruppen und Vereinen zu engagieren, sei die Erfahrung grundlegend, dass das, was sie zu sagen haben, einen Unterschied mache, meint Marina Weisband.
"Wir brauchen Orte, wo wir zueinanderfinden und wo wir als Mensch und nicht als Kunde unterwegs sein können."
Demokratie lernen fängt nach Ansicht von Marina Weisband nicht erst in der Schule an, sondern bereits im Kindergarten oder in der Familie. Für Kinder ist es wichtig zu erfahren, dass sie Einfluss auf die Regeln in der Familie, Kita, Schule oder Gesellschaft nehmen können. "Es macht natürlich was mit einem Kind, das ja seine Rolle in dieser Gesellschaft noch findet. Wir vermitteln ihm dadurch: Du bist ein wichtiger Teil dieser Gesellschaft, der Einfluss darauf hat und auf sich und andere achten sollte."