PsychologieGeschwister psychisch Erkrankter leiden mit
Erkrankt eine Jugendliche oder ein junger Erwachsener psychisch, werden die Eltern einbezogen, aber nicht die Geschwister. Dabei wird übersehen, dass gerade die Geschwister als enge Bezugspersonen auch betroffen sind. Zwei von drei Menschen leiden unter seelischen Problemen, wenn der Bruder oder die Schwester psychisch erkrankt.
Jana Hauschild ist sechs Jahre jünger als ihr Bruder. Bis heute haben sie ein gutes Verhältnis und können sich über die Familie und Probleme austauschen. Dass ihr Bruder an der Borderline-Persönlichkeitsstörung leidet, hat sie erst vor zehn Jahren begriffen, als sie ihn während einer Therapiebehandlung besucht hat.
Sie war zwölf Jahre alt, als sie einen Zettel im Briefkasten findet, auf dem steht, dass ihr Bruder wegen eines versuchten Suizids in der Psychiatrie behandelt wird. Sie hat ihn in der Klinik besucht, aber ohne zu verstehen, welche Krankheit ihren Bruder belastet.
"Als ich den Zettel im Briefkasten fand, auf dem 'Suizidversuch' darauf stand, und dass er in einer Klinik ist, habe ich eine ganz große Angst um ihn gehabt."
Die Angst um den Bruder hat sie bis heute nicht losgelassen.
Heute versteht sie, wie die Krankheit ihres Bruders auch ihr Leben geformt hat. Inzwischen ist sie selbst Psychologin und hat ein Buch über die "Übersehenen Geschwister" psychisch Erkrankter geschrieben.
Geschwister sind mit betroffen
Ärzte/Innen und Therapeuten/innen bieten meist nur den Eltern Gesprächs- und Hilfsangebote an. Dabei wird übersehen, dass gerade die Geschwister als enge Bezugspersonen auch betroffen sind. Zwei von drei Menschen leiden unter seelischen Problemen, wenn der Bruder oder die Schwester psychisch erkrankt. Oft reagieren sie mit Schlafstörungen, Erschöpfung oder depressiven Verstimmungen.
Auch Jana Hauschild hat sich in den Hintergrund gestellt, schulische Erfolge waren ihr teilweise unangenehm. Ihre eigenen Bedürfnisse hat sie zurückgestellt.
Geschwister sind durch den kranken Bruder oder die kranke Schwester belastet. Sie wollen helfen und fühlen sich überfordert. So eine Situation kann bei den Geschwistern selbst zu psychischen Erkrankungen führen.
Informationen und Austausch helfen den Geschwistern
Stattdessen helfe den Geschwistern, wenn sie an den Behandlungsgesprächen teilnehmen könnten. Dort können sie nicht nur mit ihrer Sicht auf die Familie und die Geschwister hilfreiche Hinweise geben und zur Behandlung beitragen, sondern sie würden dabei auch selbst hilfreiche Informationen über die Art der Erkrankung bekommen und hätten Gelegenheit zum Austausch.
Durch die Informationen und den Austausch können die Geschwister lernen, die Erkrankung zu verstehen und so auch mit ihr umgehen. Janas Eltern haben mit ihr nicht über die Erkrankung ihres Bruders gesprochen, wahrscheinlich auch, weil sie sich dafür verantwortlich fühlen. Die Erkrankung ihres Bruders war ein Tabu-Thema.
"Das war eine Zeit, in der in Deutschland psychische Erkrankungen kein Thema waren. Meine Eltern haben mit mir nicht über das Thema geredet. Das ist auch ein Tabu-Thema, weil Eltern sich verantwortlich fühlen."
Deshalb plädiert Jana Hauschild auch heute dafür, dass Geschwister einfordern sollten, als Teil des "Genesungspakets" für ihre Geschwister anerkannt zu werden, und gleichzeitig sich auch Hilfe durch den Austausch über die Erkrankung zu holen. Denn drei von vier psychischen Erkrankungen beginnen vor dem 25. Lebensjahr. Demnach gibt es vermutlich eine große Zahl "übersehener Geschwister".