KlimaaktivistenHaben radikale Proteste einen Nutzen?
Sich selbst auf Autobahnen festkleben, Gebäude und Gemälde verschmutzen – wie zielführend sind die teilweise radikalen Aktionen mancher Klimaaktivisten? Antworten eines Protestforschers.
Deutschlandfunk-Nova-Moderator Till Haase im Gespräch mit dem Protestforscher Jannis Grimm von der FU Berlin:
Till Haase: Herr Grimm, wir reden viel über die Proteste an sich und das, was da passiert. Aber eher weniger über die Ziele der Klimaschutz-Organisation Letzte Generation. Sind das zielführende Proteste?
Die grundlegende Frage ist, ob diese Proteste Sympathien erzeugen oder nicht. Die Aktionen sind darauf ausgerichtet zu destabilisieren. Sie sollen uns treffen und herausfordern und uns im Prinzip genau in diese Diskussion bringen: Was ist okay, was ist nicht okay für den Klimawandel? Was sind wir bereit aufzugeben und zu opfern?
Die Tatsache, dass wir schockiert sind und jetzt über diese Aktionen reden, ist ja ein Teil der Aktion. Insofern passen die Aktionen teilweise auch ganz gut in Museen oder Kultureinrichtungen, weil sie Performances sind.
Aber wir diskutieren doch nicht darüber, was angebracht wäre, um den Klimawandel zu bekämpfen, oder inwiefern wir uns einschränken müssten, sondern wir reden vor allem darüber, welche Protestformen in Ordnung sind.
Grundsätzlich liegt die Frage nach der Legitimität der Protestaktion im Auge des Betrachters. Zur Legalität: Da werden sich die Gerichte streiten. Zur Legitimität des zivilen Ungehorsams: Das ist letztlich eine politische und eine Standpunktfrage. Die Mittel, die gewählt werden, bestimmen zum großen Teil darüber, ob man den Protestierenden zuhört oder ob sie in einer Ecke mit Randalierern, mit Radikalen oder mit Gewaltbereiten gestellt werden.
Grundlegend ist es so: Damit ein Protest erfolgreich ist, muss er Menschen mitnehmen. In einer Anfangsphase von Protesten kann es durchaus auch ausreichend sein, sozusagen Agenda Setting zu betreiben und Themen durch spektakuläre Maßnahmen überhaupt erst ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Aber in einer späteren Phase muss das für weitere Koalitionsbildungsprozesse anknüpfungsfähig werden - und da bin ich aktuell eher noch etwas skeptisch.
Das heißt, es ist nicht besonders zielführend, was die Aktivisten machen?
Ich glaube, die Debatten werden da sehr gemischt geführt – wie sie auch insgesamt in der breiteren Klimabewegung geführt werden. Es gibt auch viel Ablehnung von den als moderater bezeichneten Teilen der Klimabewegung. Aber grundsätzlich kann man sagen, dass es einen gewissen Erfolg in der Hinsicht gibt, dass Aufmerksamkeit erzeugt wird und sich etwas abzeichnet, was in der Forschung als radikaler Flankeneffekt diskutiert wird.
Nämlich, dass die Aktivist*innen dieser Aktion selbst nicht unbedingt Sympathien und Zulauf erfahren. Sondern dass andere Akteure dadurch eher in den Rang von legitimen Gesprächspartnern gehievt werden, die es sonst gar nicht schaffen würden, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Das müssen Sie näher erläutern.
Im Prinzip ist es so: Von der Aufmerksamkeit, die generiert wird, können auch andere profitieren, die sich als professionellere Alternative profilieren können. Das setzt natürlich voraus, dass die Leute, die das wahrnehmen, die Menschen, die radikale Aktionen durchführen, unterscheiden können von der breiteren Umweltbewegung.
Die Forschung zeigt, dass der Einsatz radikalerer oder als radikal empfundener Taktiken gemäßigtere Fraktionen als weniger radikal erscheinen lässt - insbesondere bei Leuten, die bisher gar nichts mit Themen wie Klimawandel zu tun hatten. Die werden wachgerüttelt, wenn man so will. Wir gehen einen Schritt auf Akteure zu, die für uns überhaupt als Gesprächspartner infrage kommen.
Das Gefühl, Herr Grimm, ist doch gerade eher, dass die Leute nicht wachgerüttelt werden, sondern, dass sie maximal genervt sind. Als Protestbewegung versucht man doch eigentlich, Leute für sich zu gewinnen. Und sie nicht von sich wegzustoßen.
Das mag sein, aber die Ablehnung von den Taktiken und die Ablehnung dieser Gruppen muss nicht einhergehen mit der Ablehnung der Ziele an sich. Also ich wage zu bezweifeln, dass Leuten, denen das Klima am Herzen liegt, ihr Interesse an dem Thema verlieren, wenn sie radikale Protestaktionen wahrgenommen haben.
Beispielsweise Großbritannien, da gibt es Extinction-Rebellion-Aktion seit drei Jahren, zeigt, dass es über die drei Jahre massiven Zuwachs an der empfundenen Bedeutung für das Thema Klimawandel in der Öffentlichkeit gab. Kurzfristig ist man genervt und kurzfristig überwiegt die Ablehnung. Mittelfristig zeigt sich häufig, dass die Taktiken in Vergessenheit geraten und die abstrakteren Ziele irgendwo hängenbleiben und verfangen als etwas, das wichtig ist, womit man sich beschäftigen muss.
Das gilt auch für viele historische Bewegungen wie auch die Civil-Rights-Bewegung oder anderen in den USA, die zu dem Zeitpunkt sicherlich keine Mehrheit an Sympathien auf ihrer Seite hatten, es aber geschafft haben, Themen auf eine politische Agenda zu hieven jenseits des eigenen Sympathisantenspektrums.