Politikwissenschaftlerin Julia ReuschenbachAlle sollten Demokratie verteidigen und sie feiern
Demokratie verteidigen, sagt die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach, und denen entgegentreten, die sie angreifen, sei Aufgabe aller. Aber wir sollten unsere demokratischen Errungenschaften auch viel mehr feiern als bisher.
Die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach stellt sich voll und ganz hinter die Worte von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dass die Verteidigung der Demokratie eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft ist. Eine parlamentarische repräsentative Demokratie, wie wir sie haben, lebt davon, dass alle in der Bevölkerung sich für sie einsetzen, sagt Julia Reuschenbach. Dazu gehöre, dass man sich zivilgesellschaftlich für Grundrechte engagiere und denen entgegentrete, die versuchten, die Demokratie und ihre Rechte zu vereinnahmen und ins Gegenteil zu verkehren.
"Jeder kann seinen Beitrag leisten, sich für die essentiellen Bestandteile unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung einzusetzen."
Aber Demokratie werde nicht nur durch Engagement gefestigt, sondern auch dadurch, dass wir stolz auf sie sind und das, was erreicht wurde, feiern. Bislang würde aber noch viel zu wenig im Rahmen von Feierlichkeiten oder Gedenktagen für diese demokratischen Errungenschaften gefeiert. Beispielsweise könne man aus dem 23. Mai als Tag des Inkraftretens des Grundgesetzes einen "Verfassungstag" oder "Verfassungsfest" machen. Bislang geschehe das nur an den runden Geburtstagen der Verfassung.
Schwierig werde es bei Tagen die doppelt besetzt sind wie der 9. November, der einerseits ein starker Tag für die Demokratie ist, an dem der Maueröffnung und der friedlichen Revolution in der DDR gedacht wird, andererseits ist es der Tag der Reichspogromnacht 1938.
"Ich glaube, dass die Zukunft der Erinnerungskultur Potenziale hat, Errungenschaften der Demokratie stärker in den Mittelpunkt zu stellen."
Julia Reuschenbach glaubt, dass die Erinnerungskultur in der Zukunft Potenzial habe, indem stärker die Demokratie und ihre Errungenschaften in den Mittelpunkt gestellt werden.
Volksabstimmung und Demokratie
Aus der politischen Forschung lasse sich nicht belegen, dass mehr direkte Demokratie zu einer Stärkung führen könnte.
"Direkte Demokratie gilt als vermeintliches Allheilmittel. Das ist sie de facto nicht."
Bei Volksabstimmungen habe sich in der Forschung gezeigt, dass in der Regel sozial benachteiligte oder schwache Gruppen sich nicht mehr als sonst beteiligen würden. Letztlich würden die Abstimmungen eher von den gebildeten Schichten entschieden. Ein Dilemma bei solchen Abstimmungen sei auch, dass Einzelne ihre Meinung in den Vordergrund stellen. In einer repräsentativen Demokratie werde die gesamtgesellschaftliche Perspektive dagegen in den Blick genommen.
Mehr Mitbestimmung durch Bürgerräte
Direkte demokratische Instrumente gibt es in Landesverfassungen, wo es auch zu bedeutenden Entscheiden in den letzten Jahren kam, sagt Julia Reuschenbach. Oder auch Bürgerentscheide in der Kommunalpolitik. Aus bundespolitischer Sicht sei man aber augrund der Vergangenheit eher zurückhaltend mit diesen Instrumenten.
"Bürgerräte können das Gefühl von "Die-Da-Oben-Und-Wir-Hier-Unten" und mangelnder Mitbestimmung ein Stück weit auflösen.
Dagegen hält Julia Reuschenbach die Einsetzung von Bürgerräten, die sich repräsentativ aus der Bevölkerung zusammensetzen, für eine sinnvolle Struktur. Diese Räte beraten Regierungen, entwickeln Gutachten und sprechen Empfehlungen aus. Dadurch könne der Gegensatz zwischen Regierenden und Regierten und dem Gefühl einer mangelnden Repräsentation durch diese Form der Mitbestimmung aufgelöst werden.