NationalsozialismusDie "Polenaktion" von 1938
Im Oktober 1938 verhaften die Nationalsozialisten in einer Massenaktion polnische Jüdinnen und Juden und schieben sie ab. Diese Deportationen sind ein Testlauf für den NS-Staat. Die Historikerin Alina Bothe und der Historiker Werner Benecke mit einem Vortrag.
Am 28. und 29. Oktober 1938 verhafteten die Nationalsozialisten mindestens 17.000 Jüdinnen und Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit. Sie wurden in Sonderzügen an die polnische Grenze gebracht und mit Gewalt dazu gezwungen, die Grenze zu überschreiten. Diese Massenausweisung ist in der Geschichtsschreibung als "Polenaktion" bekannt. Der Begriff stammt von den Tätern.
"Die Novemberpogrome überlagern sowohl in dem Moment als auch in der späteren Erinnerung und historischen Aufarbeitung die Geschichte der Polenaktion."
Das Jahr 1938 gilt in der Geschichtsschreibung als ein Jahr der Beschleunigung, sagt die Historikerin Alina Bothe. Für Historikerinnen sei es deshalb auch ein manchmal schwer greifbares Jahr, in dem viel passiert. Kurz nach der sogenannten Polenaktion folgten die Novemberpogrome. In der späteren Erinnerung und in der Geschichtsschreibung überschatten sie die ihnen vorausgehenden Zwangsausweisungen.
Zwangsausweisungen nach Polen
In ihrem Vortrag erzählt Alina Bothe die Geschichte der Polenaktion und ordnet sie in ihrer historischen Bedeutung ein. Sie sei, so Bothe, eine "Deportation vor den Deportationen" gewesen. Die Zwangsausgewiesenen wurden an die polnische Grenze gebracht. Das ist ein erheblicher Unterschied zu den systematischen Deportationen in die Vernichtungslager ab 1941.
"Gleichzeitig lernen die deutschen Verfolgungsbehörden sehr viel aus dieser Maßnahme, von der Koordination der Sonderzüge hin bis zur Koordination der polizeilichen Maßnahmen, der listenmäßigen Erfassung – [...] Täterseitig bedeutete die Polenaktion einen Testlauf, ein Lernen."
Für die Nationalsozialisten war die "Polenaktion" ein Testlauf, sagt Bothe. Die deutschen Verfolgungsbehörden lernen aus den Maßnahmen. Für die Betroffenen hingegen war es ein "brutaler Einschnitt". Durch die Abschiebung wurden Familien getrennt, viele verloren dadurch die Möglichkeit zur Emigration. Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten nach Polen wurden viele von ihnen im Holocaust ermordet.
In einem zweiten Vortrag erzählt der Historiker Werner Benecke das Schicksal des Juden Eliasz Rammer, eines Opfers der Polenaktion aus Frankfurt (Oder).
Alina Bothe ist Historikerin am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin. Ihr Vortrag hat den Titel "Die Polenaktion! Über die Bedeutung einer Ausweisaktion 1938". Werner Benecke ist Professor für Kultur und Geschichte Mittel- und Osteuropas an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Sein Vortrag hat den Titel "Frankfurt (Oder) im Jahre 1938". Beide Vorträge wurden am 9. November 2022 in Frankfurt (Oder) im Rahmen des Forschungskolloquiums des Zentrums für Interdisziplinäre Polenstudien an der Europa-Universität Viadrina gehalten.
Hinweis: Unser Bild oben zeigt ausgewiesene polnische Juden in Zbąszyń (Polen) in einer Aufnahme vom 3. November 1938.