Partei des FortschrittsPlötzlich Abgeordneter: Lukas zieht mit 27 allein ins Europaparlament ein
So schnell kanns gehen: Mit seiner erst 2020 gegründeten "Partei des Fortschritts" hat der 27-jährige Lukas Sieper einen Sitz im Europaparlament ergattert. Diese Woche erlebte er seine erste Plenarsitzung. Für die nächsten fünf Jahre hat er sich viel vorgenommen.
"Unvorhersehbar und vollständig", so hat sich gerade sein Leben verändert, sagt Lukas Sieper. Na ja, ganz so unvorhersehbar vielleicht doch nicht – immerhin hat er es ja irgendwie auch drauf angelegt! Und jetzt hat er plötzlich einen neuen Job, ist von Köln nach Brüssel umgezogen und teilt sich eine Sitzecke im Europaparlament mit unter anderem Trumpisten und Rechtsextremen. Ausgerechnet!
"Es fühlt sich alles noch so ein bisschen an wie eine große Klassenfahrt, von der ich in zwei Wochen wieder nach Hause komme. Ich muss erst mal realisieren, dass das in den nächsten fünf Jahre mein Leben ist."
Aber von vorne: 2020 begann alles mit einer Schnapsidee am Küchentisch. Gemeinsam mit Freunden stellte der heute 27-Jährige fest: So richtig spricht uns hier keine Partei an in Deutschland. Mit der eigens neu gegründeten "Partei des Fortschritts" (PDF) starteten sie dann bei der Kommunalwahl in Köln-Kalk. Ergebnis: ganze 31 Stimmen.
Mit 27 Jahren im EU-Parlament
Rund vier Jahre später bei der Europawahl waren es dann insgesamt schon über 220.000 Menschen, die ihr Kreuzchen bei der PDF und bei Lukas als EU-Spitzenkandidat gemacht haben. Und zwar in Wahlkreisen quer durch Deutschland, vor allem von jungen Wähler*innen. Das waren immerhin 0,6 Prozent der Stimmen ... und für Lukas das Ticket nach Brüssel und Straßburg.
"Ich bin einfach super glücklich, super dankbar. Für mich ist das Europaparlament ein Tempel der Demokratie und der Freiheit. Es ist mir eine verdammte Ehre, ein Teil davon zu sein!"
Und dann ging es los! Diese Woche ist das neue Europaparlament zum ersten Mal zusammengekommen. 720 Abgeordnete – und Lukas mittendrin. Mittendrin auch in für ihn untypischer Gesellschaft. Denn weil er sich gemäß der Grundsätze seiner Partei keiner Fraktion anschließt, sitzt er im Parlament nun mit denen zusammen, "die sonst keiner haben will", wie er sagt, "alles Feinde der Demokratie" – außer ihm, versteht sich.
Links von ihm sitzen spanische Trumpisten, erzählt er, schräg links vor ihm tschechische Neonazis und vor ihm Maximilian Krah von der AfD etwa. "Ich wusste schon vorher, dass mir meine Sitznachbarn nicht gefallen werden", meint Lukas.
"Links von mir sitzen nur Rechtsextreme. Aber rechts von mir gibt’s Hoffnung."
Aber immerhin: Rechts, auf der anderen Seite vom Gang, sitzen Abgeordnete mehr nach seinem Geschmack: Sibylle Berg und Martin Sonneborn von "Die Partei" etwa oder der griechische Youtube-Star Fidias.
Überhaupt lernt er hier viele Menschen kennen, geht mit Abgeordneten aller großen und kleinen Parteien essen, knüpft Kontakte, tauscht sich aus, erzählt Lukas. Aber: "Ich unterhalte mich nur mit den Abgeordneten demokratischer Parteien."
Auf Augenhöhe mit Ursula von der Leyen
Das EU-Parkett und das Parlament betritt er dabei schon noch mit großem Staunen und Ergriffenheit, räumt er ein. Gleichzeitig ist ihm aber klar: "Wir sind am Ende des Tages alle Europaabgeordnete", alle Abgeordneten stehen auf einer Stufe, so sind sie vom Volk gewählt, erinnert er.
"Ich muss sagen, ich bin immer wieder überrascht von meiner eigenen Dreistigkeit."
Deshalb hat er sich auch getraut, am Tag der Wiederwahl Ursula von der Leyens zur EU-Kommissionspräsidentin zu ihr zu gehen, ihr zu gratulieren und dabei zu sagen, dass er sie nicht gewählt hat, aber hofft, dass sie ihn davon überzeugt, dass das ein Fehler war.
Update der demokratischen Kultur
Und was ist nun sein Plan für die nächsten fünf Jahre im Parlament? "Ich möchte die Idee der pragmatischen, ideologiefreien Politik vorantreiben – wo jeweils im Einzelnen entscheiden wird, was richtig ist", sagt Lukas. Das ist einer der Grundsätze seiner Partei: immer an der Sachfrage einzeln schauen, was richtig ist, erklärt er.
"Ich möchte ein Beispiel für eine bessere politische Kultur sein."
Vielleicht kann er auch mal Vermittler sein zwischen den Fraktionen und so an der Erarbeitung der demokratischen Konsens-Findung mitwirken, so seine Hoffnung. Und: "Ein bisschen gesunden Menschenverstand in die verstaubte Administration bringen", das wäre auch nötig, findet er.
Als gelernter Jurist mit Schwerpunkt auf Völker- und Europarecht bringt er auf jeden Fall schon mal die Kernkompetenz mit für den Job, der ihn erwartet, da ist Lukas ganz selbstbewusst – auch wenn ihm klar ist, dass es noch Vieles zu lernen gibt.
"Ich möchte das Europarlament an sich reformieren, ich möchte die Prozesse reformieren."
Auch als einzelner Abgeordneter einer kleinen Partei ohne Fraktion kann er etwas ausrichten, da ist Lukas überzeugt. Zum Beispiel wird er im wichtigsten Ausschuss sitzen, im Budgetausschuss, erzählt er etwas stolz: "Ich werde in den nächsten fünf Jahren mit darüber entscheiden, welcher politische Bereich in der EU wie viel Geld bekommt." Und natürlich: Er wird mit abstimmen – und das ist wichtig.
"Die wichtigste Tätigkeit eines Abgeordneten ist die Abstimmung im Plenarsaal. Und da bin ich gleichberechtigt und kann genauso viel wie bewirken wie alle anderen auch."
Wann er seine erste Rede hält, das weiß er noch nicht. Er hat zwar schon versucht, Redezeit zu beantragen, aber noch hat das nicht geklappt. Er wird jede Möglichkeit dazu nutzen, hat er sich vorgenommen. Auch dafür, darauf hinzuwirken, dass sich eine neue politische Kultur entwickelt und politische Prozesse neu gedacht werden.
Welche Arbeit Lukas konkret erwartet, was EU-Abgeordnete verdienen, wie er sich auf seinen neuen Job vorbereitet hat und wie viele Wahlergebnisse als Tattoo auf einen Fuß passen – das und mehr erzählt er im Unboxing-News-Interview. Für das ganze Gespräch klickt einfach auf Play!