PhilosophieLeben zwischen Selbstwirksamkeit und Sachzwängen
Bin ich nur Spielball gewisser Strukturen, die mich umgeben oder kann ich mein Leben aktiv selbst gestalten? Ein Vortrag des Philosophen Dieter Thomä über zwei widersprüchliche Denkmodelle.
Wir leben in einer Zeit, in der wir ständig Mixed Signals bekommen. Eine Botschaft, die uns ständig umgibt, ist: Wir sollen unser Leben in die Hand nehmen, es aktiv gestalten und Selbstwirksamkeit entfalten. Wie unser Leben verläuft, dafür sind wir mit unseren Entscheidungen verantwortlich.
Demgegenüber steht ein anderes, völlig gegensätzliches Denkmodell: Wir leben in Strukturen, denen wir ausgeliefert sind. Sachzwänge und alternativlose Szenarien bedeuten, dass wir nicht selbst entscheiden, sondern unser Leben vor allem passiv erleben. Wir selbst tragen keine Verantwortung für die Umstände.
"Mir wird gesagt, dass jeder sich ins Zeug legen soll, aber auch, dass ich sowieso nichts ausrichten kann. Wenn ich versuche, diesen scharfen Ansagen zu folgen, gerate ich in eine Zerreißprobe. Hyperaktivität und Ultrapassivität laufen gegeneinander."
Um die Spannung zwischen diesen beiden Denk- und Lebensmodellen geht es im Vortrag von Dieter Thomä. Er ist Philosoph, hat zu Sozialphilosophie und Ethik geforscht und ist immer wieder der Frage nachgegangen, "wie zu leben sei". Sein Vortrag hat eine ungewöhnliche Form. In drei Abschnitten erzählt er aus jeweils einer anderen Perspektive.
Aktivität und Passivität
Im ersten Teil lässt Dieter Thomä die Figur des "Arthur" aus Heinrich von Kleists Drama "Prinz Friedrich von Homburg" sprechen. Arthur erzählt, was ihm widerfahren ist. Seine Geschichte dient als Beispiel für das Lebensmodell "Ich"-Prinzip, wie Dieter Thomä es nennt: Das Individuum bestimmt selbst über seine Leben und hat die volle Verantwortung für seine Entscheidungen.
Den zweiten Teil erzählt er aus seiner eigenen Perspektive als Philosoph und erläutert die beiden Denkmodelle und die Widersprüche, die sich daraus ergeben. Im dritten Teil des Vortrags lässt er die Figur des "Frank" aus dem gleichnamigen Roman von Richard Ford zu Wort kommen. Die Geschichte von Frank ist ein Beispiel für das Denkmodell, dass wir passiv den uns umgebenden Strukturen ausgeliefert sind.
Dieter Thomä war bis 2023 Professor für Philosophie an der Universität St. Gallen. Sein Vortrag hat den Titel "Ich war's! Keiner ist es gewesen! Zur Dramatisierung und Entdramatisierung von Entscheidungen". Er hat ihn am 23. Mai 2024 an der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten im Rahmen der Mosse-Lectures 2024, die das Thema haben "Dramen des Entscheidens.