Neue Formen der DemokratiePhilosoph: "Direkte Demokratie ist radikal anti-identitär"

Ist unsere Gesellschaft wirklich so tief gespalten, dass wir nicht mehr zusammenfinden? Vielleicht ist schon die Frage falsch. Wir sollten unser Augenmerk nicht auf das richten, was uns trennt oder verbindet – sondern auf die Probleme, die wir gemeinsam lösen wollen. So argumentiert der Philosoph Andreas Urs Sommer in seinem Vortrag.

Es geht nicht darum, dass wir uns als Gesellschaft zu einer so genannten "Wertegemeinschaft" zusammenfinden, sagt der Philosoph Andreas Urs Sommer. Viel wichtiger als gemeinsame Werte seien gemeinsame Herausforderungen.

"Wenn man Herausforderungen teilt, kommt es nicht darauf an, welcher Gruppe man angehört, ob man schwul oder hetero ist, Mann oder Frau, Migrantin oder Ortsverbliebene, schwarz oder weiß."
Andreas Urs Sommer, Philosoph

Unsere Demokratie hat dann eine Zukunft, wenn wir uns auf Aufgaben einigen, die wir zusammen bewältigen wollen. Dazu braucht es eine direkt-partizipatorische Demokratie, also eine Demokratie, in der wir alle nicht nur mitreden - sondern auch mitentscheiden. Eine solche Demokratie, sagt Sommer, sei "radikal anti-identitär".

"Direkt-partizipatorische Demokratie ist radikal anti-identitär."
Andreas Urs Sommer, Philosoph

Andreas Urs Sommer ist Philosoph und Professor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Er forscht zu Friedrich Nietzsche und arbeitet an einem Buch über direkte Demokratie.

Demokratie fundamental verändern

In seinem Vortrag vertritt er eine klare These: Unser bisheriges Modell einer repräsentativen Demokratie ist veraltet. Sie stammt aus dem Mittelalter und passt nicht mehr zu unserer heutigen Gesellschaft. Wir sind viel zu divers, viel zu individuell und eigen, als dass wir stellvertretend von einer anderen Person repräsentiert werden könnten. Wir müssen, sagt Sommer, unsere Demokratie fundamental verändern.

"Partizipation aller ist nur möglich, wenn Macht immer wieder von Zweifel zersetzt wird."
Andreas Urs Sommer, Philosoph

Doch kann es gutgehen, wenn alle mitbestimmen? Lässt sich das Modell einer direkt-partizipatorischen Demokratie in der Praxis umsetzen? Andreas Urs Sommer ist optimistisch. Wichtig sei, dass es kein Wahrheitsmonopol geben dürfe und dass Macht immer wieder von Zweifel zersetzt werde.

Der Vortrag von Andreas Urs Sommer hat den Titel "Politischer Fiktionalismus. Zur direkten Zukunft der Demokratie". Gehalten hat er ihn beim 24. Philosophicum Lech, am 25. September 2021 in Lech am Arlberg in Österreich.