Parasoziale BeziehungenWenn Influencer sich wie Freunde anfühlen

Über tägliche Stories können sie in uns das Gefühl von Nähe auslösen. Doch so vermeintlich gut wir "unsere" Influencer*innen kennen, sie kennen uns nicht. Warum sich einseitige Beziehungen dennoch so gut anfühlen, liegt daran, wie unser Gehirn gestrickt ist.

Wir wissen gefühlt alles über sie. Wie schmerzhaft das mit dem Ex war, dass der Hund mit im Bett schläft oder dass er oder sie mal eine Essstörung hatte. Und wenn wir nichts von ihm oder ihr hören, fehlt uns was. Wir vermissen die Person, leiden regelrecht.

Doch in Wirklichkeit kennen wir die Person, die sich uns so nahe und vertraut anfühlt, nicht. Sie ist "nur" eine gefühlte Freundin oder ein gefühlter Freund. Die Rede ist von sogenannten parasozialen Beziehungen, also von einseitigen Beziehungen, in denen das Verbundenheitsgefühl einseitig ist.

Identifikation ist nicht gleich Freundschaft

Eli Rallo ist Influencerin und einer ihrer Posts auf Tiktok hilft zu verstehen, was es mit parasozialen Beziehungen auf sich hat. In dem Video erzählt sie von ihrer "besten Freundin" Taylor Swift. Das Problem: Die Beziehung zu Taylor ist einseitig. Eli scheint Taylor sehr gut zu kennen, doch Taylor hat keine Ahnung von Elis Existenz. Für diesen Post hat Eli fast 100.000 Likes bekommen. Möglicherweise ein Beleg dafür, dass sie damit einen Nerv trifft, also offen über etwas spricht, was viele umtreibt.

Parasoziale Beziehungen hat jede*r von uns, sagt Sozialpsychologin Johanna Degen. Denn jede*r hat sich mal jemandem oder etwas verbunden gefühlt, den oder die es gar nicht gibt oder weit weg ist. Einer Phantasie-, Serien-, oder Romanfigur zum Beispiel. Genauso aber kann es ein Star oder ein*e Influencer*in sein. Und gerade die vermeintliche Nahbarkeit und ständige Sichtbarkeit auf Social Media kann das Ausmaß parasozialer Beziehungen bis ins Ungesunde verstärken, warnt die Kommunikationsforscherin Zoe Olberman.

Doch zunächst steht fest: Parasoziale Beziehungen hat jede*r von uns. Das Gefühl der Verbundenheit oder Freundschaft ist damit zu erklären, dass unser Gehirn nicht zwischen realen und/oder beidseitigen und einseitig parasozialen Beziehungen unterscheiden kann, sagt Sozialpsychologin Johanna Degen.

"Untersuchungen zeigen, dass Menschen sich auch körperlich beruhigen, wenn sie diesen einen Influencer angucken. Und das vielleicht sogar mehr, als wenn sie am T-Shirt ihres Partners schnuppern."
Johanna Degen, Sozialpsychologin

Sie verweist auf die Trennung des Starpärchens Justin Bieber und Selena Gomez. Das war für viele Follower*innen ein Schock. Tausende solidarisierten sich mit Selena, empfanden Trauer, sogar Verzweiflung. Das liegt daran, dass sich die Follower*innen und Fans mit Selena Gomez identifizierten, sagt Johanna Degen. Wenn wir das tun, reagieren wir empathisch auf das, was die andere Person durchmacht. Wir fühlen mit. Das sind ganz normale Prozesse in unserem Gehirn, betont die Sozialpsychologin.

Was aber quasi fehlt, ist eine Schranke in unserem Gehirn, die runterfährt als Warnung dafür, dass wir dieser Person, mit der wir mitfühlen, nicht wirklich nah sind.

Sich der parasozialen Beziehungen bewusst sein

Solange die parasozialen Beziehungen die unmittelbar sozialen Beziehungen nicht beeinträchtigen oder sogar verdrängen, gibt es allerdings keinen Grund zur Sorge. Wenn doch, dann lohnt es sich, darüber nachzudenken, was im eigenen Leben fehlt, welche Bedürfnisse nicht erfüllt sind und wofür die parasoziale Beziehung hier als Lückenfüller dient, so Johanna Degen.

"Parasoziale Freunde beruhigen uns, der Kontakt wirkt belohnend. Mit dem Unterschied, dass wir sie uns nicht wirklich aneignen können, weil sie sich uns nicht aneignen."
Johanna Degen, Sozialpsychologin

Johanna Degen spricht in dem Zusammenhang von parasozialer Kompetenz, die wir aufbauen können. Hinzu kommt das Bewusstsein darüber, wie wenig uns einseitig-digitale und wie viel uns beidseitig-reale Beziehungszeit guttun.

Lange spazieren gehen, nackt schwimmen, ein neues Hobby, sich auf Beziehungen einlassen – selbst mit Leuten, die einen manchmal nerven – ist langfristig tausendmal gesünder und befriedigender, sagt Johanna Degen.