PandemieGefahr durch Escape-Varianten für die Herdenimmunität
Die neuen Escape-Varianten des Coronavirus entwickeln sich dort, wo viele Menschen schon geimpft sind. Sie könnten den Immunschutz der Impfung umgehen. Was bedeutet das für die Herdenimmunität?
Noch immer geht es nur langsam voran mit dem Impfen in Deutschland. Noch nicht einmal fünf Prozent der Bevölkerung sind voll geimpft und haben beide nötigen Dosen erhalten. Gleichzeitig warnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor immer weiteren Varianten des Virus, die den Immunschutz der Impfung möglicherweise umgehen könnten.
"Im schlimmsten Fall entwickelt sich eine Variante, die uns zwingt, mit dem Impfen bei Null wieder anzufangen", so die Physikerin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in der ARD-Talkshow "maischberger. die woche".
"Wenn die Mutationen dem Virus irgendeinen Vorteil bieten, dann breiten sie sich aus."
Viren sind beweglich und vermehren sich, erklärt Wissenschaftsjournalist Volkart Wildermuth. Dabei entstehen Fehler, sogenannte Mutationen. Jedes Virus ist anders, das Influenza-Virus ist zum Beispiel sehr viel mutationsfreudiger als Corona. Trotzdem hat dieses Virus Wege gefunden. Das Robert-Koch-Institut zeigt eine Übersicht der drei Coronavirus-Varianten, die sich momentan weltweit am meisten verbreiten.
Mutante weicht Immunantwort aus
Das Problem: Wenn die Mutation auch nur irgendeinen Vorteil für das Virus bietet, dann nutzt es diesen und breiten sich aus. Beispiel: Die britische Mutante B.1.1.7 ist einfach schneller als das herkömmliche Virus. Bei der südafrikanische Variante B.1.351 und der brasilianische Mutante P.1 kommt hinzu: Diese beiden Mutanten können der Immunantwort ausweichen, sagt Volkart Wildermuth.
In Südafrika und Brasilien hatten sich bereits sehr viele Menschen mit der ursprünglichen Version des Coronavirus infiziert. Die Mutationen können diese Menschen ein zweites Mal befallen und sie als Mittel zur Selbstvermehrung nutzen.
Die südafrikanische und brasilianische Mutante seien bereits zu einem frühen Zeitpunkt in den Ländern aufgetreten – damals habe es aber eben noch keine breite Immunität gegeben. Das war also kein Vorteil für die Virusvariante, deshalb hat sie sich eben nicht rasend schnell ausgebreitet, sondern ist verschwunden, erklärt der Wissenschaftsjournalist.
"Wenn viel geimpft wird, viele Leute immun sind – und parallel dieses Virus weiter aktiv ist – dann wird es zu solchen Escape-Mutationen kommen. Auch bei uns."
Auch bei uns wird es zu Escape-Mutationen des Coronavirus kommen, glaubt Volkart Wildermuth. Denn das geschehe immer dann, wenn viel geimpft wird und viele Menschen immun sind – das Virus aber parallel weiter aktiv ist.
Offen sei aber, wie viele Wege dem Virus zu diesem Zeitpunkt dann noch offen stehen. Es gebe große Ähnlichkeiten zwischen B.1.351 und P.1 – das Virus reagiere also auf den Druck der Immunität an verschiedenen Ecken der Welt ganz ähnlich. Vielleicht ist die Zahl der Escape-Varianten begrenzt. Das wäre eine gute Nachricht, weil wir dann "einfach die Impfstoffe anpassen" könnten, so Volkart Wildermuth.
In Brasilien kann das Virus sich ausprobieren
Ideal wäre es, wenn wir das australische Modell hätten, sagt er: ganz wenig Virusvermehrung und die Bevölkerung in Ruhe durchimpfen. In so einer Konstellation habe das Virus quasi keine große Chance mehr. Das Gegenteil sei in Brasilien der Fall: Das Virus vermehrt sich stark, es wird ganz wenig geimpft, und trotzdem sind viele schon immun. In dieser Konstellation habe das Virus viele Möglichkeiten, sich auszuprobieren und zu reagieren. Es sei keinesfalls eine Alternative, dort nicht zu impfen. Denn dann würden sich die Menschen anstecken, die bislang verschont geblieben sind, und würden vielleicht schwer erkranken.
"Impfen auf jeden Fall. Möglichst schnell und in einer Umgebung, in der das Virus heruntergedrückt wird. Also den Lockdown eher verlängern."
Am Anfang der Pandemie war noch nicht klar, wie effektiv es dem Virus gelingen würde, der Immunantwort auszuweichen, sagt Volkart Wildermuth. Die Varianten P.1 und B.1.351 hätten das erst so richtig plastisch gemacht. Es werde schwer werden, die Herdenimmunität zu erreichen. Dafür müssten 60 bis 70 Prozent der Weltbevölkerung geimpft sein – ohne dass sich das Virus gleichzeitig weiterverbreitet. Dass wir "einfach" alle einmal durchimpfen und so die Pandemie auf einen Schlag los werden – so leicht wird es leider nicht sein.
Es gibt aber auch positive Nachrichten: Auch wenn in Südafrika die Impfstoffe von Johnson & Johnson und Novavax nicht jede Infektion verhindern konnten, haben sie bei den Infizierten die schweren Verläufe ausgebremst. Eine Impfung reduziert also auf jeden Fall die Gefahr, auf der Intensivstation zu landen oder an Covid-19 zu sterben.