Pädagoge Burak Yilmaz"Migrationsgeschichte geht uns alle an"
Warum sind die Großeltern oder Eltern nach Deutschland eingewandert? Dahinter stecken häufig auch traumatische Erlebnisse der älteren Generation, die darüber oftmals lieber schweigen möchte. Doch junge Muslime machen sich in einem Projekt auf die Spurensuchen - auch um damit ihre eigene Identität zu stärken.
In dem Projekt "Junge Deutsche Muslime auf der Suche nach ihrer Identität" gehen junge Erwachsene mit Einwanderungsgeschichte auf die Suche nach ihren Wurzeln. Die Idee zu dem Projekt in Duisburg hatte Burak Yilmaz. Er sagt, dass die muslimischen Familien zum Teil seit Generationen hier in Deutschland leben, aber selbst ein sehr unvollständiges Bild von der eigenen Herkunftsgeschichte haben. Das führe zu einer zerrissenen Identität, erklärt der Pädagoge.
"In der Schule wird man immer vor die Frage gestellt: Bist du deutsch oder türkisch?"
In dem Projekt versuche er den jungen Erwachsenen zu vermitteln, dass sie nicht nur entweder die eine oder die andere Identität haben, sondern beides oder auch noch ganz andere Identitäten erwerben können. Das könnte die jungen Muslime bei Ausgrenzungserfahrungen in die Lage versetzen, einfach zu antworten: "Ich bin beides", und mit der Situation selbstbewusster umgehen.
Migrationsgeschichte wird nicht angemessen behandelt
In der Schule werde dieser Teil der deutschen Geschichte, die Einwanderungsgeschichte vieler Menschen nach Deutschland, wenig beleuchtet.
"In meiner Schulzeit hatten wir ein Geschichtsbuch von über 300 Seiten und nur auf einer Seite ist die Geschichte der Gastarbeitermigration erwähnt worden. Und ich dachte: Okay, das ist ganz schön wenig dafür, was unsere Eltern und Großeltern für dieses Land getan haben."
In seiner Familie sei aber die Einwanderungsgeschichte auch kein Thema, das besonders intensiv besprochen werde. Um dieses unvollständige Bild zu vervollständigen, sagt Burak Yilmaz, will er sich mit jungen Menschen auf die Spurensuche begeben.
Aufarbeitung mit Gesprächen in den Familien
In dem Projekt haben sechs junge Erwachsene aus Duisburg zusammengearbeitet. Einen Hauptteil haben die Gespräche mit den Eltern und Großeltern eingenommen, sagt Burak Yilmaz. Außerdem haben sie Dokumente und Fotos gesammelt. Mit diesem ganzen Material habe die Gruppe versucht, die Migration der Großeltern nachzuzeichnen.
"Migrationsgeschichte wird gerade in der Großelterngeneration verschwiegen, weil es sehr viel Trauer auslöst. Sie mussten vieles aufgeben, um ein neues Leben anzufangen."
Diese Aufarbeitung der Großelterngeschichte und zu erfahren, wie sie gelebt, gedacht und gefühlt haben, ihr Leben besser zu verstehen, würde auch unheimlich glücklich machen, sagt Burak Yilmaz.
Die Arbeit hat auch innerhalb der Gruppe zu sehr vielen Gesprächen beispielsweise über den Begriff Heimat geführt, berichtet Burak Yilmaz. Dabei haben sie auch die Unterschiede zwischen ihrer Generation zu derer ihrer Eltern und Großeltern reflektiert.
"Erst dachten wir, diese erste Runde würde reichen. Aber wir haben jetzt gemerkt, dass wir erst am Anfang stehen."
In dem Prozess habe die Gruppe gemerkt, dass sich dadurch noch mehr Themen und Diskussionsräume öffnen und sie längst nicht am Ende, sondern erst am Anfang ihrer Arbeit stehen. Burak Yilmaz betont, dass die jungen Erwachsenen dadurch ein geschärftes Geschichtsbewusstsein bekommen hätten und ihr eigenes Leben besser in den historischen Kontext einordnen können.
Rote Linien in den Familien
In den Diskussionen hätten sich auch die "roten Linien" gezeigt, die teils durch die Familien bei bestimmten Themen verlaufen. Als Beispiel nennt er vergebliche Suche auf dem Wohnungsmarkt, Schulprobleme, Ausgrenzungs- und Rassismuserfahrungen.
Wichtig sei es auch gewesen, die positiven Entwicklungen herauszuarbeiten wie Zugänge zur Mehrheitsgesellschaft.
Stärkung der Persönlichkeit und Identität
Das Bewusstsein über die eigene Herkunft stärke die Persönlichkeiten und helfe bei der Identitätsfindung. Gerade in Bezug auf Ausgrenzungserfahrungen, bei denen die Jugendlichen denken, dass sie von der Gesellschaft abgelehnt werden, sei es wichtig aufzuzeigen, dass es auch diesen anderen Teil ihrer Geschichte, die Herkunftsgeschichte gibt, die gleichzeitig deutsche auch Geschichte ist.
Ein anderer Teil des Projekts ist eine Art Rollenspiele, die Burak Yilmaz mit der Gruppe im Theater übt. Dabei werden Szenen nachgestellt, in denen sich die Jugendlichen ohnmächtig fühlen. In der Situation gehe es dann darum, den Jugendlichen aufzuzeigen, wie sie handeln könnten, um der Ohnmacht zu entgehen. Das gebe den jungen Heranwachsenden ein Gefühl von Ermächtigung, sagt Burak Yilmaz.
Impulse für die deutsche Gesellschaft
Diese positiven Erfahrungen mit dem Projekt möchte Burak Yilmaz weiter fortführen. Er hofft, dass es weitergeht und von dem Projekt wiederum positive Impulse in die Gesellschaft ausgehen. Zum Beispiel könnte sich die Arbeit auf Schulbücher auswirken, in denen das diverse Leben in den Klassen kaum behandelt werde. "Ich wünsche mir, dass wir ein Bewusstsein schaffen für die jüngere deutsche Geschichte, in der Migration keine Ausnahme ist, sondern die Regel."
Denn Migrationsgeschichte sei nicht nur etwas, das die Zugewanderten angehe, sondern auch die Mehrheitsgesellschaft.