Sozialwissenschaftler Michael KopatzKein Widerspruch: Fürs Klima protestieren und trotzdem fliegen
Solange alle das Gefühl haben, sie verzichteten alleine zugunsten des Klimas, würde sich nichts ändern, sagt Sozialwissenschaftler Michael Kopatz. Die Politik sei gefragt, die Strukturen zu verändern.
Michael Kopatz ist Sozialwissenschaftler und forscht am Wuppertal Institut für Umwelt, Klima und Energie. Ihm geht es um die Widersprüche, in denen wir leben: Billiges Grillfleisch auf den teuren Hightech-Grill legen und gleichzeitig für mehr Tierwohl eintreten. Darüber hat er schon 2018 das Buch "Ökoroutine" geschrieben. Darin fordert er, dass sich die Verhältnisse ändern müssen, dann würde sich auch unser Verhalten ändern.
Sein Argument: Wenn nur der Einzelne auf Flugreisen, Auto oder Fleisch verzichte, erleide er selbst Nachteile, wodurch sich aber am Großen und Ganzen nichts ändere.
Politischer Protest wichtiger als Konsumverzicht
Jetzt legt er mit dem Buch "Schluss mit der Öko-Moral" nach, das im Oktober 2019 erscheinen wird. Darin argumentiert er, dass es nicht verwerflich sei, fürs Klima zu protestieren und gleichzeitig in den Billigflieger zu steigen. Denn: Politischer Protest sei wichtiger als privater Konsumverzicht.
Das Dilemma: In den Befragungen bekunden die Menschen, dass sie das Klima schützen wollen und auch etwas an ihrem Verhalten ändern wollen, aber letztlich schafften sie das nicht, sagt Michael Kopatz. Jeder für sich allein denke: Was bringt das schon, wenn ich verzichte, und alle anderen machen weiter wie bisher?
"Diese Banalität, dass es sich schlecht anfühlt, wenn man alleine verzichtet, führt dazu, dass insgesamt gar nichts passiert."
Die Klimakrise sei ein kollektives Problem, das sich nicht auf der persönlichen, individuellen Ebene lösen lasse, sondern nur durch kollektive Veränderungen. Deshalb sollte jeder das machen, was er für sich für tragfähig hält.
Öko-Moral macht ohnmächtig
Kritiker werfen den Fridays-for-Future-Aktivisten vor, sie würden auf der einen Seiten fürs Klima demonstrieren und auf der anderen Seite trotzdem fliegen: "Solange die fliegen, brauchen die gar nicht demonstrieren gehen". Diese strenge Öko-Moral führe dazu, dass sich die Menschen ohnmächtig fühlen würden, sagt Michael Kopatz.
Der Sozialwissenschaftler ist der Meinung, dass man Selbstbegrenzung fordern kann, ohne sich selbst zu begrenzen. Die Menschen könnten gegen den Ausbau eines Flughafens demonstrieren und trotzdem fliegen. Insgesamt würden sie dafür sorgen, dass der Flugverkehr nicht weiter zunehmen könne. Denn wenn sie dagegen demonstrieren, begrenzen sich am Ende auch damit selbst – und die anderen.
Druck von der Straße helfe mutlosen Politikern
Weil die Politik oftmals mutlos oder zögerlich sei, sagt Michael Kopatz, brauche sie den Druck von den Bürgerinnen und Bürgern. Es gehe nicht darum, allein auf irgendetwas zu verzichten, sondern dafür zu sorgen, dass politischer Druck entstehe.
"Die Reformer in der Politik haben es leichter, wenn sie merken, es gibt Druck von der Straße."
Beispiel Markus Söder: Wenn der bayerische Ministerpräsident jetzt fordere, früher aus der Kohle auszusteigen, dann, weil er merkt, dass die Menschen stark mobilisiert seien.
"Dass die CDU mit einem Mal wach geworden ist und denkt 'wir müssen doch mehr tun', dann liegt das an Fridays for Future." Dieser Druck aus der Bevölkerung sorge für Selbstwirksamkeit und helfe, aus der Ohnmacht herauszukommen.
Selbst wenn die Aktivisten mit dem Flugzeug fliegen würden, hätten sie mit ihrem Protest dafür gesorgt, dass sich die Verhältnisse ändern. "Das fühlt sich dann doch ganz gut an, finde ich."
Politik müsse auf Produktion einwirken
In Bezug auf konkrete Umweltstandards wünschen sich beispielsweise 80 Prozent der Bevölkerung bessere Bedingungen in der Tierhaltung. Tatsächlich gäben nur zwei Prozent mehr Geld aus für Fleisch aus besserer Haltung, sagt Michael Kopatz.
Diesen Widerspruch müsse die Politik auflösen, aber nicht dadurch, dass Politikerinnen Verbraucher überzeugen, weniger Fleisch zu essen.
Dahinter steckt der Gedanke, dass der Konsument die Produktion beeinflusst, sagt Michael Kopatz.
Er argumentiert, dass die Politiker dafür sorgen könnten, dass zum Beispiel Schweine einen Quadratmeter mehr Auslauf haben und das über mehrere Jahre zunimmt, sodass in 20 Jahren eine artgerechte Tierhaltung erreicht sei. Dahinter steckt der Gedanke, dass sich das Produkt ändert, ohne dass der Verbraucher an der Ladentheke entscheiden müsse, welches Produkt er jetzt liebe kaufe.
"Ich ändere die Produktion, nicht die Konsumption."
Das Prinzip "Veränderte Produktion verändert Kaufverhalten" lässt sich am Beispiel Staubsauer zeigen: Die EU hat die Richtlinie erlassen, dass Staubsauer nur noch 800 Watt haben dürfen. Ohne die Richtlinie seien diese Staubsauger unverkäuflich gewesen, weil die Verbraucher gedacht hätten, weniger Watt sei schlechtere Qualität. Jetzt gibt es nur noch Staubsauger mit 800 Watt, die genauso gut saugen würden, sagt Michael Kopatz.
Ähnlich dem Beispiel des Staubsaugers gäbe es über 50 Produkte, die inzwischen viel energiesparender geworden seien, ohne dass das den Verbraucher immer bewusst sei.