ObdachlosigkeitWohnungslose Frauen haben besondere Probleme
Wohnungslose Frauen haben oft ihre ganz eigenen Probleme. Viele machen Gewalterfahrungen und lehnen Übernachtungsmöglichkeiten in Unterkünften ab. Anke Petermann hat die 28 Jahre alte Nana getroffen. Sie lebt seit zehn Jahren auf der Straße.
Rund 50.000 Menschen in Deutschland leben auf der Straße, ein Viertel davon sind Frauen. Für sie ist es besonders hart - gerade im Winter. Die Möglichkeit in Notbetten, Kältebussen oder Containern zu übernachten, lehnen sie häufig ab, weil diese Angebote nicht auf ihre Bedürfnisse eingehen.
Dlf-Korrespondentin Anke Petermann hat in Mainz Nana getroffen. Sie ist 28 Jahre alt und lebt seit zehn Jahren auf der Straße. Sie sagt, sie hat Glück, weil sie einen Freund und zwei weitere Kumpels hat. Mit ihnen zusammen - und ihrem Hund - traue sie sich, in einen Container zu gehen und dort zu übernachten.
"Die Männer sind okay. Sonst würde ich mit ihnen nicht in einen Container gehen."
Sozialarbeiter Gerhard Trabert ist froh, dass Nana in diesen Container kommt. Die Schlafmöglichkeit ist beheizt und es gibt abschließbare Duschmöglichkeiten. Das ist längst nicht selbstverständlich - für Frauen, die auf der Straße leben aber notwendig. Viele waren schon häufig sexueller Gewalt ausgesetzt. Hier können sie sich sicher fühlen, sagt er. Bei der Stadt Mainz setzt sich Gerhard Trabert deshalb auch für separate Frauencontainer ein.
Phänomen unter Obdachlosen: Das "Zufriedenheits-Paradoxon"
Nana ist seine jüngste Patientin. Vor kurzem hat ihr der Mediziner ein Antibiotikum gegen eine Entzündung verschrieben. Beim Kontrolltermin sieht er, dass es anschlägt. Gerhard Trabert weiß: "Obdachlosigkeit zehrt!" Trotzdem gibt es ein Phänomen. Das Zufriedenheits-Paradoxon.
"Viele schätzen die eigene Situation positiver ein als sie eigentlich ist. Einfach, um in dieser Situation überleben zu können."
Gerhard Trabert berichtet, dass zwar viele Wohnungslose sagen, dass sie freiwillig auf der Straße leben - bei den wenigsten sei das aber der Fall. Oft stecken dramatische Gründe dahinter. Seiner Erfahrung nach haben viele Frauen Missbrauchserfahrungen gemacht oder mit Drogen oder Alkohol.
Freiwillig auf der Straße leben
Auch Nana sagt, sie lebe auf der Straße, weil sie das so will. Als Jugendliche hatte sie oft die Schule geschwänzt, flog erst vom Gymnasium, danach von der Realschule. Mit dem Hauptschulabschluss zog sie zu Hause aus. Nana fand das Leben in einer festen Wohnung spießig und ging zu Freunden - unter eine Brücke.
"Es ging darum mobil zu sein. Auch außerhalb von Deutschland unterwegs zu sein. Sinn der Obdachlosigkeit war eigentlich das Rumziehen."
Nanas Markenzeichen auf der Straße in Mainz ist der Bücherstapel unter ihrem Geldkästchen. Sie liest viel - und Passanten schenken ihr neben Brezeln, einem Kaffee oder Geld eben auch ab und zu Bücher. Ob sie es wegschaffen wird von der Straße? Sozialarbeiter Gerhard Trabert sagt, das könne er schwer abschätzen. Bei jüngeren Obdachlosen wie Nana habe er häufig das Gefühl, dass gravierende Erfahrungen in der Kindheit und Jugend zu ihrer Situation geführt haben.
"Einen Zugang zu finden und vielleicht eine Möglichkeit des Austauschs, der Therapie, der Selbstfindung - das ist etwas ganz Entscheidendes."
Grundvoraussetzung sei aber, so Gerhard Trabert weiter, dass die entsprechende Person dahinter steht - und wieder von der Straße runter will.
Ähnliche Themen:
- Betteln in einer bargeldlosen Gesellschaft | Obdachlosen Geld per Smartphone spenden
- Kälte und fehlender Wohnraum | Obdachlos: Die Probleme fangen nicht erst im Winter an
- Koch Stephan Staats | Erst obdachlos, dann Schiffskoch auf Nobel-Yachten